Das authentische Badezimmer: Minimalismus versus Alltagtauglichkeit

Pflegemittel,
Handtüchern, Zahnbürsten und weitere persönliche Dinge machen sich im realen Badezimmer schnell breit.
Foto: VDS, Karsten Jipp
Bei der Badplanung informieren und orientieren sich
professionelle Badplaner und Architekten an der Bilderwelt der nationalen und
internationalen Sanitär-Unternehmen. Auch werden Inspirationen für eine neue
Badplanung häufig aus der Bilderflut im sozialen Web gewonnen.
Private
Einsichten in die Bäder der deutschen wie der internationalen Badnutzer gibt es
selten – schließlich ist das Bad eines der letzten Zimmer, das von innen abgeschlossen
wird. Doch wie sieht es in privaten Bädern wirklich aus? Müssten wir bei der
hier zu erwartenden deutlichen Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit die gängige
Praxis der Darstellung und Visualisierung von Bädern nicht neu überdenken?
Private insights into the bathrooms of German or
international bathroom users are rare – the bathroom is, after all, one of the
last rooms that we lock from the inside. But
what do private bathrooms really look like? It
seems safe to assume there will be an obvious discrepancy between ideal and
reality. So shouldn’t we rethink common practice when it comes to portraying
and visualising bathrooms?
Eine hochwertige Spachtelwand, eine großzügige, bodenebene
Dusche und ein LED-Himmel mit wechselnden Motiven, scheinbar unendlich große
Bäder: Die Angebotsvielfalt im Bereich hochwertiger und großzügig umzusetzender
Bäder scheint kaum noch Grenzen zu kennen und dominiert das in den Medien
transportierte Bild vom idealen und begehrenswerten Bad. Dabei sieht die
Realität in deutschen Bädern doch in der Regel anders aus. Das deutsche
Badezimmer ist im Durchschnitt unter 10 Quadratmeter groß, und gerade in
Mietwohnungen müssen die Bewohner sich oft mit weniger als 6 Quadratmetern
Badezimmer arrangieren. Eine freistehende Badewanne ist mit diesen
Gegebenheiten eigentlich nicht zu realisieren. Dennoch steht der Wunsch nach
einem Private Spa bei vielen Badnutzern ganz oben auf der Wunschliste des
Wohnens. Entgegen dem in den Medien transportierten Bild sind die
Sanitärhersteller hier ganz realistisch und bieten zunehmend Produktkonzepte
an, die patente Lösungen für kleine Bäder bieten und sie gleichzeitig aufwerten.
Wo sind denn all die Flaschen, Deos und elektrischen Zahnbürsten?
Die größte Diskrepanz zwischen den schicken Fotos und der
Realität ist der Mangel an Stauraum und der Umgang mit den vielen Accessoires,
Pflegemittel, Handtüchern, Zahnbürsten und weiteren persönlichen Dingen – und deren
Menge kann je nach Anzahl der Badnutzer schon recht groß sein. In ein solches
Sammelsurium unterschiedlichster Dinge Ordnung zu bringen fällt selbst mit einem
professionellen Stauraumkonzept schwer – geschweige denn, man verzichtet als
überzeugter Minimalist auf störenden Regale und Schränke. Also rigoros
ausmisten? Umgekehrt sind es doch gerade die persönlichen Dinge des Badnutzers,
die ein Badezimmer zum authentischen, ganz privaten Raum machen.
Die Erhöhung durch den Stylisten oder Interior Designer

Für
ein Foto-Shooting werden die Bad-Accessoires akkurat in einer
einheitlichen Farbe oder zumindest einheitlichem Look aufgereiht.
Foto: VDS, Karsten Jipp
Ein Stylist oder ein Interior Designer, der die Aufgabe hat,
ein Badezimmer für ein Foto-Shooting vorzubereiten, „erhöht“ das Badezimmer
durch sein Styling. Die Dusch-Gels, wenn überhaupt welche zu sehen sind, sind
akkurat in einer einheitlichen Farbe oder zumindest einheitlichem Look aufgereiht.
Ein bis zwei schick drapierte Handtücher schmücken den Handtuchhalter, und die wenigen
Deko-Gegenstände haben auf einer Ablage oder auf einer Freifläche auf dem
Waschtisch viel Luft zum Atmen.
Zauberwort: Stauraum
Doch mit der schönen Optik ist spätestens nach einer Woche
Badnutzung durch eine 4-köpfige Familie vorbei: Das Badezimmer „wächst“ organisch
und entwickelt seinen ganz eigenen Style. Doch das ist ja auch gar nicht
schlimm – schließlich leben wir ja alle in unserer Wohnung und lichten sie
nicht ständig für Instagram, Pinterest & Co. ab. Wer das möchte, muss eben aufräumen.
Das Zauberwort hierfür heißt „cleaning“ und entspricht einem aktuellen
Lifestyle-Trend. Doch auch das Gegenteil, der unaufgeräumte, bewohnte Look gilt
bei vielen nicht mehr als uncool, wie einzelne Einrichtungsmarken bereits
werblich aufgenommen haben. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit, bis auch
die eine oder andere Sanitärmarke in ihrer Bildsprache ein bisschen Unordnung
zulässt. Doch da es im Badezimmer sauber sein sollte, wird die Realität wohl
auch hier irgendwo in der Mitte von Minimalismus und Pragmatismus liegen.
Das Lifestyle-Badezimmer verlangt nach professionellem Styling
Gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass der Trend im
Einrichtungsbereich immer mehr zum Lifestyle-Badezimmer geht: Das Badezimmer
wird durch wohnliche Sanitärprodukte und -möbel immer gemütlicher, und durch
ausgewählte Deko-Gegenstände wird es für seine Bewohner zu einem echten Zimmer.
Das individuelle Badezimmer braucht daher Platz für das Interior Design und
viele Türen, Schubladen und Stauräume zum Verstecken der vielen kleinteiligen
Gebrauchsgegenstände, Pflegeprodukte und Kosmetika. Das Verhältnis
„persönliche“ Badutensilien zu Deko-Gegenständen muss ausgewogen sein und
sollte im Laufe der Nutzungsdauer auch immer mal wieder auf den Prüfstand
kommen. Professionelle Badplaner und Stylisten investieren daher zusätzliche
Kreativität in die „Erhöhung“ eines neuen Bades, denn erst mit der
authentischen Finalisierung zaubert das Badezimmer täglich ein entspanntes Lächeln
ins Gesicht der Nutzer.