Interview mit Jens J. Wischmann: „Farbe ist der Türöffner zum Lifestyle-Badezimmer“

Foto: Behrendt und Rausch; Vereinigung Deutsche Sanitärwirtschaft (VDS)
Hintergrund: Vereinigung Deutsche Sanitärwirtschaft (VDS) e.V., Messe Frankfurt Exhibition GmbH
Der wohl stärkste Trend der ISH
2019 dürfte die endgültige Verwandlung des Bades in ein Lifestyle-Zimmer gewesen
sein. Das von der Messe Frankfurt und der VDS veranstaltete Trendforum Pop up
my Bathroom zeigte mit der Inszenierung „Colour Selection“, welche
Möglichkeiten sich mit den aktuellen Farbtrends im Interior Design auch für den
Sanitärbereich eröffnen. Jens J. Wischmann, Geschäftsführer VDS, erklärt
im Interview, warum das Thema Farbe für die nächste Evolutionsstufe des Bades
so wichtig ist und definiert die Chancen, die in der neuen Offenheit für Farbe
und Lifestyle liegen.

Jens Wischmann ist Geschäftsführer der Vereinigung Deutsche Sanitärwirtschaft e.V. (VDS) sowie Geschäftsführer der Gesellschaft zur Förderung der Sanitärwirtschaft mbH, Bonn. Seit 2001 vertritt er damit im Dachverband der deutschen Unternehmen im Bereich Bad und Sanitär die gemeinsamen Interessen der Mitglieder für den Lebensraum Bad in der Öffentlichkeit.
Vor dieser Tätigkeit war Wischmann Assistent des Vorstandes und der Hauptgeschäftsführung beim Zentralverband Sanitär Heizung Klima (ZVSHK) in St. Augustin. Davor arbeitete er als Rechtsanwalt in der Kanzlei Prof. Dr. Hümmerich & Partner in Bonn.
Jens Wischmann wurde 1966 im schleswig-holsteinischen Reinbek geboren und hat nach seiner Zeit als Zeitsoldat Rechtswissenschaften, Germanistik und Volkswirtschaft studiert. Wischmann hat seinen Executive MBA an der Kellogg-WHU/Otto Beisheim School of Management, Vallendar, erlangt.
Foto: Behrendt und Rausch; Vereinigung Deutsche Sanitärwirtschaft (VDS)
Anlässlich der ISH 2019 erklärte die VDS auf dem Trendforum Pop up my Bathrroom die Farbe im Badezimmer zum Leitthema. Warum?
Farbe ist im gesamten Interior-Bereich ein
zentrales Thema. Sogar recht dominante Muster werden hier und da wieder
eingesetzt. Nur im Bad traut sich niemand so recht ran. Wir finden, es ist
Zeit, die Mutigen unserer Branche zu unterstützen, die sich trauen, Farbe auch
im Bad zu einem Thema zu machen – und zwar nicht nur bei den Accessoires. Das
Bad ist nun einmal zu einem Zimmer geworden, das gestaltet werden will.
Das Badezimmer wird also zunehmend wohnlicher eingerichtet. Die Botschaft ist schon angekommen. Aber wieso ist in diesem Zusammenhang Farbe so wichtig?
Wir haben im aktuellen Bestand immer noch
einen sehr hohen Anteil an der Farbe Weiß. Selbst in den letzten Jahren ging es
bei der Wahl der Farben doch eher konservativ zu. Im Zweifel hat der Bauherr
sich für eine neutrale Farbgebung entschieden, weil die Angst besteht, sich an
einer Farbe schon nach kurzer Zeit sattzusehen. Und das Badezimmer ist im Haus
sicherlich der letzte Raum, der mal so eben umdekoriert wird. Noch heute zeugen
viele negative Beispiele von Badezimmern in Bahamabeige oder Whisper Rosa von
den unbekümmert farbintensiven 1970er-Jahren. Das war nicht nur too much, das
war auch einfallslos. Bis zum Zahnputzbecher war die komplette Kollektion auf
eine einzige Farbe abgestimmt. Das wirkt schon lange nicht mehr modern oder
wohnlich, das kann man heute besser machen. Das Interior Design hat sich
verändert und die Ansprüche an eine moderne Badezimmer-Gestaltung sind
gestiegen.
Wie kann man den Weiß-Trend denn stoppen?
Wir wollen gar nichts stoppen. Weiß ist ja
auch ein Farbtrend, genauso übrigens wie Schwarz. Im Bad ist dieser Farbtrend
allerdings bislang kaum relevant, weil sowieso alles weiß ist. Das ist doch
eigentlich schade, man könnte Farbtrends viel aktiver für die Branche nutzbar
machen. Die Kunst wird sein, dabei eine Balance zwischen der Aktualität und der
Langlebigkeit von Farbmilieus zu finden. Aber mit dieser Balance arbeitet die
Branche ja schon seit Jahren erfolgreich, wenn nicht gar seit Jahrzehnten, wenn
man an langlebiges Design denkt.
Wird Badplanung damit nicht noch komplexer?
Neben der Küche verlangt das Badezimmer wohl
die komplexeste Planungs- und Umsetzungsleistung in der Wohnung. Ja, man könnte
meinen, man bräuchte einen Badmanager: Es müssen verschiedene Handwerker
koordiniert und wasserführende Produkte fest eingebaut werden. Gleichwohl ist
der Wunsch nach einem schicken Badezimmer beim Nutzer sehr hoch – aktuelle
Umfragen bestätigen das. Der Badplaner muss sich also zunehmend mit dem
Lifestyle-Aspekt beschäftigen, also auch mit Farben, Materialien, Design und
natürlich auch mit Lichtplanung.
Also spielt die Lichtplanung bei der Badgestaltung auch eine große Rolle?
Wir haben im Badezimmer unterschiedliche
Nutzungsphasen. Am Morgen muss es schnell gehen, oft muss sich eine komplette
Familie zeitgleich fertig machen. Am Abend möchte vielleicht jemand relaxen
oder sich für einen Theaterabend schick machen. Und in der Nacht wird lediglich
mal die Toilette aufgesucht. Für jede Nutzung wird eine andere
Beleuchtungssituation benötigt, und es ist unglaublich, welche Auswirkungen
Licht auf die Farbwirkung und die Gestaltung eines Badzimmers hat. Hier gilt es
vieles zu berücksichtigen: emotionales oder funktionales Licht, helle Flächen
für ergonomisch kritische Stellen oder die Einbeziehung von Tageslicht – ohne
eine perfekte Lichtplanung macht eine Lifestyle-orientierte Badplanung keinen
Sinn mehr.
Da sind wir bei den Kosten einer Beratungsleistung für eine Badplanung. Wird das neue Badezimmer nicht immer teurer?
In der Tat steigen mit dem
Lifestyle-orientierten Badezimmer die Anzahl der benötigten Dienst- und
Handwerksleistungen. Zwar lassen sich die Sanitärhersteller einiges einfallen,
um mit Anwendungsbeispielen und Online-Konfiguratoren die Auswahl zu
vereinfachen. Doch bei der Vielzahl von Varianten ist auch ein gestalterisches
Händchen gefragt. Nicht jeder kann treffsicher die richtige Farbkombination
festlegen – die so einfach aussehenden Badezimmer in Katalogen und
Wohnzeitschriften verraten kaum etwas von der mühevollen Arbeit der
professionellen Interior Designer. Im Baumarkt kann man sich jede
Farbe aus Farbpaletten anmischen lassen – doch welche ist die richtige? Wer
berät die Bauherrin oder den Bauherrn und legt ein stimmiges Gesamtkonzept an?
Diese kreative Beratungsleistung ist zeitintensiv und wird im deutschsprachigen
Raum noch nicht so wertgeschätzt, wie es sein sollte. Der Badplaner entwickelt
für den Bauherrn gemäß seinen Bedürfnissen und den räumlichen Bedingungen das
perfekte Badezimmer – diese Beratungsleistung schützt nicht vor nur
Fehlplanungen, sondern sichert auch eine sorgenfreie Nutzung. Die
Sanitärindustrie kann hier mit ihren Farbpaletten und dem Angebot verschiedener
Farbmilieus auch bewusst Hilfestellung bieten.
Dann verändern sich also die Anforderungen an Handwerk, Handel und Planer, oder?
Wir stehen sicherlich vor enormen Veränderungen.
Neben den zunehmend komplexeren Produkten und Systemen vor und hinter der Wand
sowie der zunehmenden Digitalisierung steht der kreative Aspekt beim Badbau
beziehungsweise bei der Badsanierung gleichermaßen im Fokus. Ein Handwerker,
der sowohl den Einbau als auch eine Lifestyle-orientierte Badplanung anbietet,
ist in meinen Augen ein Held. Er muss sich fortwährend weiterbilden, um auf dem
aktuellen Wissensstand des Möglichen zu bleiben. Der Besuch der ISH ist zum
Beispiel eine Voraussetzung, um seinen Kunden die neuen Geschichten im
Badezimmer erzählen zu können. Ich brauche hier noch nicht mal das in der
Politik so modische Wort Narrative zu bemühen: Der Kunde weiß es zu schätzen,
dass der Berater ihm für die Entwicklung seines individuell optimalen
Badezimmers Orientierung geben kann, die sich aus den neuesten Erkenntnissen
über Badkonzepte, Lösungsmodelle und Produktinnovationen speist. Dieses Wissen
sollte man sich zunutze machen, weil es eine persönliche Bereicherung, einen
Mehrwert, einen Wettbewerbsvorteil und somit eine Erlössteigerung bietet.
Der Fachkräftemangel ist allerdings nicht sehr förderlich für komplexere Dienstleistungen. Wer soll denn die vielen prognostizierten Lifestyle-orientierten Bäder planen?
Das Potenzial ist enorm, der Anteil an
renovierungsbedürftigen Bäder ist groß, und viele Menschen wünschen sich
moderne Bäder, obwohl diese erst kürzlich renoviert worden sind. Die
durchschnittliche Nutzung eines Badezimmers wird nach meiner Einschätzung von
17,5 Jahren in den nächsten zwei Dekaden erheblich sinken, vielleicht sogar auf
unter 10 Jahre. Die Entwicklung des Badezimmers zum Lifestyle-Zimmer wird sich
auf alle beteiligten Berufe auswirken. Es werden neue Berufsbilder entstehen. Mit
der Bad-Akademie haben wir ein Instrument geschaffen, um die Weiterbildung in
diesem Bereich zu unterstützen. Aber vor allem Berufseinsteigern muss der
Zugang erleichtert werden. Viele wollen „etwas Kreatives“ machen. Bei der
Badplanung ist Kreativität pur angesagt. Vielleicht müssen auch neue,
attraktive Studiengänge initiiert werden. Vielleicht lassen sich, wie
international üblich, Küche und Bad thematisch zusammenlegen, um
Synergieeffekte zu erzielen. Der Beruf des Interior Designers ist im deutschsprachigen
Raum quasi nicht existent. In England oder den USA ist der Interior Designer
ein anerkannter Beruf. Fangen wir heute damit an, diese Herausforderung zu
lösen.
Jetzt haben wir noch gar nicht über die eigentlichen Farbtrends gesprochen. Wie sehen diese denn im Badezimmer aus?
Genau diese Farbtrends haben wir mit Pop up
my Bathroom thematisiert und beschrieben. Wir haben 12 aktuelle Farbtrends
identifiziert. Die wichtigste Erkenntnis: Wenn Farbe als Gestaltungselement in
einem Lifestyle-Badezimmer eine wichtige Rolle spielt, muss ein Grundton oder
eine Farbkombination die Führung übernehmen. Es entsteht eine Farbcollage, und
alle anderen Materialien und Oberflächen müssen auf dieses Grundthema einzahlen
und miteinander harmonieren.
Abschließende Frage: Gibt es so etwas wie eine Farbe des Jahres?
So eine Ankündigung liegt gar nicht in
unserer Absicht. Im Übrigen ist die Branche dafür noch zu sehr in einem
Farbfindungsprozess. Wir zählen bei Pop up my Bathroom die wichtigsten
Möglichkeiten auf und verstehen uns als Ideenlieferant. Wenn wir die Botschaft
transportieren können, dass Farbe kein Tabu mehr ist, sondern ein Türöffner zum
Lifestyle-Bad, haben wir schon gewonnen.