Interview Jens Wischmann:
„Mensch, ich brauche diesen Raum."

05/12

 

Green Bathroom, Bathroom Interior und Easy Bathroom – so lauten die Titel für die wichtigsten Entwicklungsrichtungen im Baddesign. Sie beschreiben die Trends „Zurück zur Natur“, „Weg von der Wand“ und „Einfacher geht’s nicht“, die von einem der einflussreichsten Dachverbände der Sanitärbranche, der Vereinigung Deutsche Sanitärwirtschaft e. V. (VDS), in Zusammenarbeit mit Trendforschern erarbeitet und in schönen, visionären Bildern beschrieben wurden. Anlässlich der aktuell in Frankfurt stattfindenden Weltleitmesse der gesamten SHK-Branche, der ISH, erläutert der Geschäftsführer der VDS, Jens J. Wischmann, was sich hinter den Bildern und Titeln der neuen Kampagne „Pop up my Bathroom“ an Revolutionärem verbirgt. 

Sie haben ja mit „Pop up the Bathroom“ bereits zur ISH 2009 eine Kampagne gestartet, um die von Ihnen beobachteten Trends in der Gestaltung und Auffassung des Badezimmers darzustellen. Werden Sie dieses Jahr daran anschließen oder etwas völlig Neues propagieren?

Nein, die Geschichte wird auf jeden Fall weitererzählt. Das, was wir 2009 mit Pop up the Bathroom gestartet haben, hat uns motiviert, genau dort weiterzumachen. Die Trends sind unverändert gültig, aber natürlich modifizieren sie sich. Es gibt die globalen Trends, die bleiben. Dann gibt es die Umformung in andere Farben, andere Stoffe, andere Themen, die ein bisschen in den Vordergrund rücken. Die Trends von Pop up the Bathroom sind aus unserer Sicht unverändert gültig, aber wir wollten das Prinzip fortsetzen, ohne das Gleiche nochmal neu zu schreiben. Für uns stellten sich drei Entwicklungslinien im Bereich Bad als besonders wichtig heraus, und zwar nicht nur aus Sicht der Sanitärwirtschaft, sondern weil sie, wie wir meinen, auch gesellschaftlich von Bedeutung sind, soweit es um das Thema Badezimmer geht. 

Wie sehen diese drei Trends denn aus?

Da ist zum einen das Thema Green Bathroom. Hier haben wir in der Vergangenheit den Schwerpunkt sehr stark auf das Thema Wassersparen gelegt. Wir möchten diesen Begriff nun weiter ausdehnen. Es geht zurück zur Natur, es geht um natürliche Materialien, und vor allem geht es um ein nachhaltiges Baddesign. Wenn wir in Zukunft über das Thema Wassersparen reden, dann immer unter Berücksichtigung der lokal unterschiedlichen Gegebenheiten. Es ist meiner Meinung nach richtiger, von verantwortungsbewusstem Umgang mit dem Wasser zu sprechen, denn es geht ja nicht nur darum, Kosten zu sparen. Je nach Umgebung und Heizsystem kann ich eben auch ohne Komforteinbußen und mit gutem Gewissen einen Regenhimmel nutzen oder mein tägliches Vollbad nehmen. 

Wenn wir die technischen Raffinessen und das nachhaltige Design mal weglassen, das Sie für diesen Trend in Anspruch nehmen – was gibt es darüber hinaus, was ein „Green Bathroom“ ausmachen könnte?

Wenn man das Prinzip von Green Bathroom weiter fasst, sieht man, dass das Bad eigentlich der Raum ist, in dem wir den Elementen am unmittelbarsten begegnen: nämlich Wärme, Wasser und auch Luft. Natürlich sollte ein Green Bathroom auch von den Materialien so gestaltet werden, dass man tatsächlich von Nachhaltigkeit sprechen kann, denn auch das verstehe ich unter Natürlichkeit. Aber wenn Sie Menschen fragen, wie sie sich ihr Bad wünschen, hören Sie, dass viele gerne einen Zugang nach draußen hätten, oder zumindest Luft und natürliche Elemente nach innen transportieren möchten. Auch nach der Sauna schnappt jeder gerne frische Luft. Lüftung im Bad und Frischluftzufuhr ist ein wichtiges Thema, das im Green Bathroom als Öffnung des Bades nach außen interpretiert wird. So, wie sich die Küche als Wirtschaftsraum idealerweise ja auch nach außen öffnen soll, kann auch das Bad die Verbindung von außen und innen herstellen – wenn auch weniger aus praktischen Gründen als aus einem Bedürfnis nach Naturerleben heraus. Das wird architektonisch noch eine ganz spannende Aufgabe sein, wahrscheinlich vor allem im Neubau: das Bad als Zugang und als Verbindung zwischen Innen- und Außenwelt.  

Ist das einer der Gründe, warum Sie das Motto abgewandelt haben? Es hieß ja beim ersten Mal 'Pop up the Bathroom' und jetzt heißt es: ‚Pop up my Bathroom‘.

Ja. Wir wollen das Badezimmer aufklappen. Das ist ja der Sinn dieser ganzen Pop-up-Geschichte. Und mit dem 'my' unterstreichen wir, dass der Trend zur Individualisierung zunimmt. Es ist eben nicht das Bad von der Stange, das wir ‚aufmachen‘ wollen, sondern es ist ein individuelles Bad, das den Nutzerbedürfnissen entspricht und genau zu dem Eigentümer des Hauses bzw. dem Nutzer des Bades passt. 

Kommen wir zum zweiten Trend: Bathroom Interior. Was sollen wir uns darunter vorstellen?

Dass das Bad nicht mehr Nasszelle ist, sondern ein Lebensraum, wird vielfältig propagiert. Aber das Verständnis, dass das Bad damit zu einem Teil des Interior Bereichs wird, ist erst langsam in die Branche eingesickert. Die Technik erlaubt es heute, deutlich freier in der Anordnung der Elemente zu sein. Ob mit Vorwandinstallation, Blockbildung oder bodengleicher Dusche, oder ob es die Sauna ist, die ich integriere: Ich bin fast – wenn auch nicht ganz ohne Einschränkungen – aber fast völlig frei, welchen Raum ich zu einem Bad erkläre. Und ich bin darin frei, wie ich die Elemente anordne. Das ist revolutionär, und das wollten wir mit unserer Installation auch ausdrücken. 

Wen wollen Sie mit einem solchen Bild ansprechen?

Diese Freiheit, intelligent zu planen, damit umzugehen, sie zu nutzen, das ist die Herausforderung nicht nur für die Produktgestalter, sondern auch die der Badbauer. Wir wollen darauf hinweisen, was alles bereits heute in der Badplanung möglich ist. Aber wir wollen auch einen ganz starken Impuls in die Branche geben, sich dieses Themas anzunehmen und sich als Badgestalter zu verstehen, der einen Raum baut – und nicht nur längs der Wand Produkte einplant –, der einen Raum nutzerorientiert und den Einrichtungsgesetzen folgend gestaltet. Das bedeutet natürlich auch, dass sich Wohnlichkeit und moderne Technologien im Bad widerspiegeln. Und da sich die Lebensumstände der Menschen verändern – die Familienzuschnitte, die Aufhebung der Trennung von Privatleben und Beruf, der Bedarf an Regeneration –, ändern sich auch die architektonischen Rahmenbedingungen. Das moderne Nutzerverhalten wird im Bad zu einem weiteren Bedeutungswandel führen. 

Wird sich das Nutzerverhalten wirklich ändern, nur, weil ich einen Teppich ins Bad lege?

Wenn man englische Badbücher aufschlägt, gehört der Teppich oder die Lektüre schon lange dazu, während der Deutsche sich mit solchen Sachen noch zurückhält, weil wir in Deutschland traditionell eine fast klinische oder asiatisch reduzierte Badausstattung haben. Ich erwarte aber schon eine Veränderung dadurch, dass wir jetzt Badprodukte, Badzuschnitte und Badgrundrisse haben, die mehr möglich machen und den Verbraucher einladen, das Badezimmer länger zu nutzen. Zum anderen sehe ich diesen Raum auch in der zunehmenden Rolle eines Fitness- und Wellnessraums, mit Bad, Lichttherapie, Wohlfühlmassage und ähnlichen Features, die eine gesundheitsfördernde und psychologisch stabilisierende Wirkung haben, sodass ich mich bewusst dafür entscheide: „Mensch, ich brauche diesen Raum.“ Aber der sollte für solche Anwendungen auch etwas schöner gestaltet sein, denn ich will ja nicht die ganze Zeit vor dem Spiegel stehen, ich will mich auch mal hinsetzen. Ich will diesen Raum genießen, will es mir abends mit Licht gemütlich machen und Musik hören, ohne dass sie klingt, als wäre der Schall ganz hart gedämpft. All diese Aspekte spielen eine Rolle. Wenn wir das Bad häufiger und länger nutzen, ergeben sich ganz automatisch Ansprüche an eine wohnlichere, anschmiegsamere und individuellere Gestaltung. 

Worum geht es im dritten Trend?

Ein wenig habe ich das eben mit der Rollenerweiterung zum Fitness- und Wellnessraum schon vorweggenommen, denn natürlich spielt hier eins ins andere. Auf der letzten ISH-Messe haben wir bereits von einem ‚Easy Bathroom' gesprochen, denn es geht dabei um deutlich mehr als barrierefreie Bäder. Es geht um ein Bad, das ich einfach nutzen kann, das Komfort für Generationen in eben jeder Altersstufe bietet und anpassungsfähig ist. Das haben wir auf der letzten ISH ausführlich vorgestellt, und das war auch einer der Trends, die ich auf den Herstellerständen wiedergefunden habe. Dieser Trend wird, bedingt durch den demografischen Wandel, sicherlich einer der bestimmenden sein, nicht nur in Deutschland und Europa, sondern weltweit. Intelligente Lösungen dafür fehlen zum Teil leider immer noch, und wenn es sie gibt, sind sie nicht immer so nutzergerecht und leider auch nicht so formschön, dass sie dem Nutzerprofil entsprechen. Ich glaube allerdings, dass sich auf diesem Feld seit der letzten ISH eine Menge getan hat. Deshalb taten wir auch richtig daran, das wieder aufzugreifen und das Augenmerk darauf zu lenken, was es hier an neuen Entwicklungen gibt. 

Was ist am Easy Bathroom so besonders?

Auf den ersten Blick eigentlich nicht viel. Ein komfortgerechtes, einfach zu nutzendes Badezimmer ist eben kein völlig anderes Badezimmer. Die künstliche Trennung von barrierefreiem und normalem Bad wird sich auflösen. Wir sehen hier in Zukunft ein ganz normales, schickes Bad, das sich dem Stil seiner Nutzer anpasst und in dem sich intelligente, kleine, schrittweise zu aktivierende Lösungen verbergen. 

Zum Beispiel?

Etwa Rundungen, an denen ich mich nicht stoße, rutschhemmende Oberflächen, Griffmöglichkeiten, die nicht wie Haltegriffe aussehen. Mit Sitz- und Ruhemöglichkeiten ergänzte Badewannen, höhenverstellbare Waschtische und WCs, ein Lichtkonzept, das mir die Orientierung erleichtert … also eine ganze Menge von kleinen Feinheiten, wo die Sorgfalt und die Details dafür sorgen, dass dieser Raum einfach zu nutzen ist, auch gerade dann, wenn es Einschränkungen gibt. Wir reden von Einschränkungen, nicht zwangsläufig von Schwerbehinderten. Jeder, der einmal krank war oder ein Rückenleiden hat, weiß solche kleinen Komfortfunktionen zu schätzen. 

Und warum sehen Sie das Bad als Fitnesscenter für ältere Menschen?

Der demografische Wandel bedeutet ja nicht nur, dass die Menschen älter werden, sondern dass sie deutlich länger im Erwerbsleben stehen und deutlich länger aktiv im Leben stehen und stehen wollen. Der heutige 50jährige, 60jährige ist nicht zu vergleichen mit dem vor 20, 30 Jahren. Also gewinnt dieser Raum auch an Bedeutung im Hinblick darauf, wie fit, wie attraktiv ich mich für die Gesellschaft halten kann. Welcher Raum ist da besser geeignet als das Badezimmer? 

Wie könnte sich das konkret manifestieren?

Dieser Fitness- und Wellnessaspekt muss jeden Tag aufs Neue herstellbar sein. Zunächst einmal brauchen wir ganz banal mehr Stauraum für verschiedene Utensilien aus dem Schmink- wie aus dem Fitnessbereich. Aber es werden auch neue technische Ausstattungen im Bad Einzug halten. Warum sollte man nicht die Fitnessübungen von Spielekonsolenherstellern vor einem Bildschirm oder morgens vor dem Schminkspiegel ausführen können? Oder mit ganz leichten und sehr effektiven Übungen das Gleichgewichtsgefühl stärken, wo Gleichgewichtsproblem doch die größte Unfallursache bei alten Menschen ist? Ich könnte mir gut vorstellen, dass man im Spiegel, für den es bereits technische Lösungen für einen TV-Screen gibt, am Morgen Gesundheitstipps oder Übungsanleitungen verfolgt. Da gibt es noch viele Entwicklungsmöglichkeiten, weshalb ich für das Thema Easy Bathroom eine große Zukunft sehe. 

Warum nimmt sich die VDS dieser Aufgabe an?

Wir halten es für eine ureigene Aufgabe der deutschen Sanitärwirtschaft, sich damit zu beschäftigen. Die VDS ist der Zusammenschluss von Herstellern, Handel und Handwerk und umfasst damit alle, die in Deutschland mit dem Thema Bad befasst sind. Und es geht in Zukunft eben nicht mehr nur um Produkte, Logistik und Einbau, sondern um die Symbiose von allen dreien. Auch wenn man das häufig zitiert, gilt es hier nun mal besonders: Die Summe ist mehr als die Einzelteile! Ich brauche innovative, wettbewerbsfähige Produkte, die international auf den Märkten stark vertreten sind. Da hat die deutsche Industrie eine starke Tradition und einen Wettbewerbsvorteil. Das müssen wir erhalten, das müssen wir auch stärken, und deshalb müssen wir bei solch einer Trendshow herstellerübergreifend, neutral Flagge zeigen. Unsere Aufgabe als Vertreter dieses Dreiklangs ist es, sich dieser Trendthemen anzunehmen und zu sagen, was alle drei Stufen unserer Branche in Zukunft beim Thema Bad zu erwarten haben. 

 

Weitere Informationen: 

www.sanitaerwirtschaft.de 

www.pop-up-my-bathroom.de