Gudrun Kaiser: „Im Bad sind wir Menschen besonders vulnerabel.“

Architektin Gudrun Kaiser
Foto: Hellen Pass Fotografie
Rund 7 Millionen Bäder sind laut der
aktuellen Studie #germanbathrooms der VDS dringend renovierungsbedürftig. Dabei lohnt es sich,
bestehende Bäder an eine altersgerechte oder barrierefreie Gestaltung
anzupassen, um auch im Alter selbstbestimmt leben zu können. In einem Interview erklärt die Architektin Gudrun Kaiser,
worauf bei der Umgestaltung von Bädern für ältere Menschen besonders zu achten
ist. Seit 2010 bietet Gudrun Kaiser mit ihrem Büro Wohnqualität im Alter (WiA)
umfangreiche Leistungen in den Bereichen Planung, Beratung und Fortbildung zur
Unterstützung bei Wohn- und Pflegeprojekten für ältere Menschen an.
- Die Studie der VDS #germanbathrooms zeigt eindrucksvoll: 95 Prozent der Befragten halten eine altersgerechte Badinfrastruktur für unverzichtbar, um im Alter selbstbestimmt leben zu können. Bemerkenswert ist, dass dieses Bewusstsein generationsübergreifend und sogar in der jüngsten Zielgruppe der 18- bis 29-Jährigen mehrheitlich vorhanden ist. Sie legen seit vielen Jahren mit Ihrem Architekturbüro WiA den Fokus auf das Bauen für ältere Menschen. Bedeutet das im Umkehrschluss, dass altersgerechte bzw. barrierefreie Wohnungen für jüngere Menschen weniger attraktiv oder geeignet sind?
Nein. Es gibt zwar Wohnformen, die vorrangig die Belange älterer Menschen berücksichtigen, aber gerade der Wohnungsbau sollte möglichst universell und nachhaltig für alle Generationen attraktiv und nutzbar sein. Barrierefreiheit ist dabei längst zu einem generationenübergreifenden, wertsteigernden und inzwischen auch durchaus ästhetischen Qualitätsmerkmal geworden. Nicht erst im Alter, sondern auch schon für Kinder, oder bei temporären Verletzungen und körperlichen Einschränkungen sind Schwellenfreiheit, ausreichende Bewegungsflächen und erreichbare Bedienelemente vorteilhaft. Im Bad zeigt sich das besonders deutlich.
- Worauf kommt es Ihrer Erfahrung nach bei der Planung von barrierefreien Privatbädern besonders an?
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Im Bad sind wir Menschen besonders vulnerabel. Zur Körperpflege legen wir unsere Kleidung und Sehhilfen ab und ziehen uns in einen möglichst sicheren und ungestörten Bereich zurück. Der Raum muss also sowohl funktionelle Bedürfnisse erfüllen als auch sensorische, kognitive und motorische Einschränkungen berücksichtigen und Geborgenheit sowie Wohlbefinden spenden können.
Wohnlichkeit und Funktionalität lassen sich auch im barrierefreien Bad gut vereinbaren. Schwellenfreie Duschen, barrierefreie Sanitärobjekte und Armaturen führen längst keine Defizite mehr vor, sondern haben sich zu formschönen Designobjekten entwickelt, deren barrierefreie Platzierung und Umgebungsgestaltung in DIN 18040, Teil 2: Wohnungen (im Folgenden DIN 18040-2), ausführlich normiert sind. Stützgriffe, Klappsitze und andere Hilfsmittel müssen dabei nicht standardmäßig und vollumfänglich vorgehalten, sondern können bei einer entsprechend verstärkten Wand-Unterkonstruktion je nach individuellem Bedarf im Laufe der Zeit angepasst werden.
Im Bad muss der Bodenbelag schwellenfrei sein und eine Rutschfestigkeit mindestens der Klasse R10 bieten. Weiße und sehr helle Bodenbeläge vermitteln keine gute Gang- und Standsicherheit. Für ein gutes Erdungsgefühl sollte der Boden immer die dunkelste Fläche des Raumes darstellen. Ausreichend starke und barrierefreie Kontraste zwischen Boden, Wänden, Sanitärkeramik und Bedienelementen lassen die Raumkonturen, Bedienelemente und die Einrichtung auch ohne Sehhilfen gut erkennen und fördern die Orientierung im Raum. Eine gute Beleuchtung umfasst im Bad nicht nur eine diffuse und gleichmäßige Ausleuchtung des Raumes, sondern auch blend- und schattenfreie Komponenten in der Dusche oder für feinere Sehaufgaben am Spiegel.
Das Badezimmer muss sensorische, kognitive und motorische Einschränkungen berücksichtigen.
- Was sind häufige Fehler, die bei der Planung von Badezimmern gemacht werden?
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Häufige Fehler sind beispielsweise nach innen aufschlagende Türen, Einschränkungen der Bewegungsflächen, fehlende Ablageflächen und eine unzureichende Beleuchtung. Oft wird nicht bedacht, dass die Anforderungen der DIN 18040-2 an Bewegungsflächen im Bad lediglich Mindestmaße darstellen, die sich immer nur auf den Bedarf einer einzelnen Person beziehen. Viele ältere und pflegebedürftige Menschen – übrigens auch Kinder! – brauchen im Bad jedoch die Unterstützung Angehöriger oder Pflegender, die ebenfalls Bewegungsfläche benötigen. Das sollte bei der Badplanung berücksichtigt werden, z.B. durch etwas größere als die in der DIN geforderten Abstände zwischen den Sanitärobjekten bzw. zu Wänden, 30 bis 40 statt nur 20 cm.
Es ist in Deutschland auch sehr verbreitet, die Bäder komplett in Weiß zu gestalten und auszustatten, von der Sanitärkeramik über die Wand- und Bodenfliesen bis hin zu Zahnbecher und Handtuch. Das mag besonders hygienisch wirken, erschwert aber – besonders bei abgelegter Sehhilfe und eingeschränkter Sehleistung – die Orientierung im Raum und die Wahrnehmung von Details.
Auf der Messe ISH in Frankfurt wurde deutlich, dass insbesondere südeuropäische Hersteller bei der Badausstattung sehr auf farbenfrohe und kontrastreiche Designs sowie auf farbige Sanitärobjekte setzen, und das gar nicht mal nur aus Gründen der Barrierefreiheit, sondern durchaus auch mit gestalterischem Anspruch!

Höhenverstellbare Waschtische lassen sich gut an unterschiedliche Nutzungssituationen anpassen.
Foto: Viega
- Was ist beim Waschplatz zu beachten?
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Am Waschtisch spielen vor allem die Größe und die Position der nutzenden Person eine Rolle. Eine angenehme Höhe der vorderen Waschtischkante variiert – ähnlich wie bei der Küchenarbeitsfläche – zwischen 80 cm für kleine oder sitzende Menschen und bis zu 90 cm und mehr für große, stehende Personen. Daher kann in größeren Haushalten ein zweiter oder ein höhenverstellbarer Waschtisch im Bad vorteilhaft sein. Ein flacher Waschtisch mit Flach- oder Unterputzsiphon bietet im vorderen Bereich Beinfreiheit und lässt sich sowohl mit dem Rollstuhl als auch mit dem Rollator unterfahren. Die Armatur sollte für eine flexible und einfache Nutzung eher hoch und ausladend sowie einhändig bedienbar sein, auch ausziehbare Brausearmaturen können die Körperpflege, z.B. die Haarwäsche am Waschbecken erleichtern.
Ein Spiegel sollte so tief über dem Waschtisch montiert sein, dass sich auch sitzende Personen gut darin sehen können. Höher montierte Kippspiegel, die das Spiegelbild stets verzerren und eine unangenehme Kopfhaltung erfordern, sind hingegen out. Ist eine tiefe Montage – beispielsweise aufgrund einer Vorwandinstallation mit hoher Ablagefläche – nicht möglich, kann der Spiegel auch seitlich des Waschbeckens tief angebracht werden. Dadurch lässt er sich für Tätigkeiten wie Frisieren, Rasieren oder Schminken auch mit dem Rollstuhl und von helfenden Personen viel näher anfahren als bei der Montage über dem Waschtisch. Spiegelbeleuchtung von oben und mit schlechter Farbwiedergabe wirft Schatten unter Augen und Nase und lässt uns grau und ungesund aussehen. Seitliche Spiegelbeleuchtung mit einer guten Farbwiedergabe von Ra > 80 hingegen sorgt für ein schattenfreies, natürliches Spiegelbild. Der Ra-Wert, auch als allgemeiner Farbwiedergabeindex bezeichnet, gibt an, wie natürlich eine Lampe Farben erscheinen lässt – je höher der Wert, desto naturgetreuer ist die Farbwiedergabe, wobei der Maximalwert bei 100 liegt.
Am Waschplatz sollten ausreichend erreichbare Ablagefläche und mehrere Steckdosen zur Verfügung stehen, damit Föhn, Rasierer, elektrische Zahnbürste u.a. gleichzeitig am Stromnetz bleiben können und nicht immer ausgetauscht werden müssen. Alternativ können einzelne Servicesteckdosen mit Auswurfhebel hilfreich sein. Die DIN 18040-2 sieht übrigens am Waschplatz gar keine Stütz- oder Haltegriffe vor, sondern betrachtet offenbar den Waschtisch selbst als ein Stützelement. Mehrere Hersteller bieten jedoch Waschtische mit seitlich oder vorne integrierten Haltegriffen und Ablageflächen an, die sowohl zum Stützen, Halten und Greifen als auch zum Aufhängen von Handtüchern dienen können.

Bei einem wandnah platzierten WC können Winkelgriff und Stützklappgriff die Selbständigkeit unterstützen.
Foto: Roland Wehinger
- Und was ist bei der Toilette wichtig?
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Beidseitig der Toilette sollten je nach persönlichem Bedarf Stützklappgriffe montierbar sein. Das ist für Rollstuhlnutzende ein Muss, ist aber auch für viele andere Menschen hilfreich. Das Umsetzen von Rollstuhl oder Rollator auf das WC erfolgt je nach individueller Fähigkeit entweder von vorne, von der Seite oder schräg von vorne, die Transfer-Richtung kann dementsprechend unterschiedliche WC-Tiefen und Griffanordnungen erfordern. Ein 70 cm tiefes WC ist eigentlich immer nur dann erforderlich, wenn der Transfer vom Rollstuhl auf das WC parallel von der Seite erfolgt, denn bei einem Standard WC mit 50 cm Tiefe wäre bei dieser Art des Umsetzens das Rollstuhlrad im Weg. Bei 70 cm WC-Tiefe kann die Person vor dem Rollstuhlrad auf das WC gleiten. Inzwischen gibt es sogar schon Rollstühle mit teilbaren Rädern, bei denen das obere Drittel entfernt werden kann, was das Umsetzen erleichtert.
Ein L-Winkelgriff an der Wand, der in der deutschen DIN 18040-2 ebenfalls nicht vorgesehen ist, ermöglicht alternativ zum wandseitigen Stützklappgriff nicht nur das Aufstützen, sondern auch das Hochziehen vom WC-Sitz und kann auch in der Dusche hilfreich sein. Auch eine Sitzerhöhung oder Höhenverstellbarkeit des WC-Sitzes bis ca. 46-48 cm kann die Nutzung der Toilette erleichtern. Die neuere Generation spülrandloser WCs bietet zudem eine deutlich einfachere Reinigung – auch das ist ein Beitrag zur Barrierefreiheit!
- Was halten Sie von einem Dusch-WC?
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Mit den kombinierten Funktionen von WC und Bidet bieten Dusch-WCs eine gute Unterstützung beim schambesetzten Thema der Intimhygiene, die damit deutlich länger auch bei Pflegebedarf noch selbstständig oder mit diskreter Unterstützung erfolgen kann. Die Bedienung und die Kombination von Ausscheidung und Hygiene im selben Sanitärobjekt sind allerdings etwas gewöhnungsbedürftig. Das Dusch-WC hat den deutschen Markt erst zögerlich erobert, aber das Interesse daran nimmt auch im Privatbereich spürbar zu, seit immer mehr pflegebedürftige Menschen zuhause betreut werden.
Auch die Vorzüge eines klassischen Bidets werden in Deutschland meines Erachtens unterschätzt. Mit niedriger Einbauhöhe und verschließbarem Abfluss ermöglicht das Bidet im Unterschied zu Waschtisch und Dusch-WC außer der Intimhygiene auch Sitz- und/oder Fußbäder für Jung und Alt, die früher oft in der „Duschtasse“ stattfanden. Bidets sind sicherlich nicht von Allen gleichermaßen nutzbar, bieten jedoch im Familienbad bei ausreichendem Platz eine praktische Ergänzung zu WC, Waschtisch und schwellenfreier Dusche.

Die Duschkabine der Serie
Josephine von Glassdouche bietet eine horizontal geteilte Drehtüre und ermöglicht so Pflegepersonen eine komfortable Assistenz beim
Duschen.
Foto: Glassdouche
- Welche Empfehlungen haben Sie für die Dusche?
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Bodenebene Duschplätze werden in Neubauten zunehmend zur Standardlösung. Sie sind nicht nur für Kinder und Erwachsene barrierefrei nutzbar, sondern bieten auch räumlich und gestalterisch bessere Alternativen und reizvollere Materialkombinationen als herkömmliche Duschtassen. Außerdem sind sie deutlich bequemer zu reinigen. Durch die Überschneidung mit den Bewegungsflächen anderer Sanitärobjekte ermöglichen schwellenfreie Duschen sogar eine Flächenreduzierung im Bad.
Von vornherein und für jedes Alter empfehlenswert ist für die Grundausstattung eine stabile Duschstange, die nicht nur zur Halterung einer leicht höhenverstellbaren Brause, sondern auch zum sicheren Festhalten dient. Alle weiteren Stütz- und Haltevorrichtungen sollten dem persönlichen Bedarf angepasst werden können. Ein einhängbarer Klappsitz, Duschhocker oder eine Sitzstufe im Duschbereich leisten gute Dienste bei eingeschränkter Mobilität, beim Füßewaschen, bei der Körperrasur und bei der Unterstützung von Kleinkindern. Auch in der Dusche wird gutes Licht und ausreichend Ablagefläche benötigt.
- In der Praxis ist es gang und gäbe, dass bei der barrierefreien oder altersgerechten Modernisierung von Bestandsbädern die Wanne gegen eine bodenebene Dusche getauscht wird. Ist diese Praxis angebracht oder sehen Sie Vorteile darin, zusätzlich zur Dusche eine Badewanne einzuplanen?
Im Gegensatz zu dieser Praxis fordert die DIN 18040-2 gerade umgekehrt für rollstuhlgerechte Wohnungen die Option des Einbaus einer Wanne statt der Dusche. Das scheint zunächst befremdlich, aber besonders körperlich eingeschränkte Menschen schätzen – wie viele andere auch – ein wärmendes, entspannendes oder therapeutisches Bad und genießen dabei die Schwerelosigkeit ihres Körpers. Diesen Komfort kann eine Dusche nicht bieten! Eine Badewanne ist natürlich zunächst einmal nicht barrierefrei, aber dennoch mithilfe barrierereduzierender Einstiegshilfen wie erhöhten Trittstufen, Haltegriffen oder Boden-Decken-Stangen und helfender Personen zugänglich. Auch ein breiter Wannenrand kann als Sitzfläche unterstützen, denn im Sitzen lassen sich die Beine leichter über den Wannenrand heben.
- Jetzt sind Bestandsbäder aber oftmals klein und der Platz ist beschränkt. Welche baulichen Möglichkeiten gibt es, Platz für Dusche und Wanne zu schaffen?
Meist sind im Bestand Grundrissveränderungen erforderlich. Sehr kleine Bestandsbäder werden bei barrierefreier Wohnungsanpassung häufig in die meist etwas größeren Küchenräume verlegt. Stattdessen werden die Küchen dann in den Wohnraum integriert. Sollte der Platz im neuen Bad dennoch nicht für Dusche und Wanne ausreichen, kann die Wanne auch freistehend in einem anderen Raum aufgestellt werden, sofern Wasserzu- und ablauf installiert werden können.
- Wenn Sie an Produkte im Bad denken. Welche würden Sie besonders empfehlen?
Einiges hatte ich schon angesprochen, wie zum Beispiel die Brausestange als Haltegriff, das Bidet mit seinen ergänzenden Funktionen oder Handtuch- und Griffmulden im Waschtischrand. Aber auch Details wie die Voreinstellung und Regulierbarkeit von Brausestrahl und Wassertemperatur per Knopfdruck in der Dusche, eine zuverlässige magnetische Duschkopfarretierung oder Vergrößerungsspiegel mit guter integrierter Beleuchtung finde ich praktisch und hilfreich. Mir gefallen auch die im asiatischen Raum üblichen platzsparenden WCs, bei denen ein kleines Handwaschbecken direkt auf dem Spülkasten sitzt. Nach dem Toilettengang kann man sich dort die Hände waschen. Das dabei genutzte Frischwasser läuft anschließend in den Spülkasten und wird dort für die nächste Spülung verwendet. So wird Platz gespart und Wasser effizient genutzt. Leider ist diese Lösung nicht barrierefrei!

Auch für den hochwertig ausgestattete Badezimmer bzw.Gesundheitseinrichtungen gibt es Produkt-Serien für barrierefreie Bäder, wie etwa Kollektion Axess von Keuco, designt von Studio F.A. Porsche.
Foto: Keuco
- Wie können die Badezimmer, über die wir heute sprechen, für alle Generationen attraktiv gestaltet werden – Stichwort Ambiente?
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Egal ob Einfamilienhaus oder Wohnungsbau – mit der Grundrissgestaltung und der unbeweglichen Erstausstattung des Bades werden von Bauherren und Wohnungsgesellschaften die langfristigen Grundlagen für Barrierefreiheit und altersgerechte Anpassbarkeit eines Bades gelegt. Das betrifft alles, was später nur noch mit großem Aufwand verändert werden kann, wie die Positionierung und Auswahl von Sanitärobjekten, Fliesen, Wand-Unterkonstruktion und Elektroauslässe.
Das Ambiente und die bewegliche Ausstattung eines Badezimmers sollten hingegen im Laufe der Zeit immer nach Vorliebe der Bewohnerschaft durch neue Anstriche, Leuchten, Textilien, Möblierung und Dekoration verändert werden können. Dafür sollten Möglichkeiten geboten werden, indem beispielsweise auch ungeflieste Wandflächen für die individuelle Gestaltung und ausreichend Platz für Möblierung vorgesehen werden. Beleuchtung, Farbigkeit, und Wellness-Aspekte spielen heute eine zunehmende Rolle im Bad und dabei unterscheiden sich die Wünsche der Generationen manchmal doch im Detail.
- Die Zahl der Menschen in Deutschland, die an Demenz erkrankt sind, beträgt fast zwei Millionen. Tendenz steigend. Mit zunehmender Schwere der Erkrankung ist die Pflege solcher Personen nicht leicht. Da hilft es bei der täglichen Körperpflege sehr, wenn das Bad entsprechend ausgestattet ist. Worauf muss Ihres Erachtens bei der Badplanung für demenzkranke Menschen besonders geachtet werden?
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Demenzerkrankte Menschen verhalten und verändern sich sehr unterschiedlich, der Krankheitsverlauf ist sehr individuell, daher sind Empfehlungen nie allgemeingültig. Die meisten Menschen verlieren jedoch im Laufe der fortschreitenden Demenz in ihrer langjährig vertrauten Umgebung und erst recht beim Umzug in Pflegeeinrichtungen zunehmend die Orientierung und die Fähigkeit, Neues zu erinnern. Sie betreten dann selbst in der eigenen Wohnung sozusagen jeden Tag ein neues, unbekanntes Badezimmer. In dieser besonderen Situation sind Übersichtlichkeit und Ordnung, Barrierefreiheit und alle bereits genannten Maßnahmen besonders wichtig, die Orientierungshilfe und Sicherheit bieten: leicht auffindbare und zugängliche Sanitärobjekte, deutliche Kontraste zwischen Boden, Wänden und Ausstattungsgegenständen, ein ruhiger, homogener und rutschfester Bodenbelag, intuitiv und einfach bedienbare Armaturen und gutes Licht.
Die Sinne von Menschen mit Demenz werden leicht überreizt oder überfordert. Auch das „Zwei-Sinne-Prinzip“ ist für Menschen mit Demenz nur bedingt anwendbar. Informationen können von Demenzerkrankten zwar oft noch über mehrere funktionierende Sinne aufgenommen, aber nicht mehr zielführend weiterverarbeitet werden. Das ist eine gestalterische Herausforderung. Während deutliche Kontraste zur Wahrnehmung der Raumkonturen empfehlenswert sind, wirken stark gemusterte Tapeten, Textilien und Bodenbeläge hingegen oft irritierend und werden fehlinterpretiert.
Auch der zunehmende Einsatz technischer Assistenz im Bad wie z.B. die sensorische Auslösung einer Waschtischarmatur oder der Beleuchtung durch Bewegungsmelder ist im Grunde hilfreich, jedoch für viele Menschen mit Demenz erschreckend und nicht nachvollziehbar. Wir müssen den Blick bei der Badplanung und -gestaltung auf die veränderte Wahrnehmung bei Demenz richten. Viele Empfehlungen dazu haben sie ja erst vor kurzem im Beitrag „Ein Bad für demenzkranke Menschen“ übersichtlich zusammengestellt und in der Neuauflage meines Buchs gehe ich u.a. auch ausführlich auf die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz ein.

In Badezimmern für Demebzkranke eignet sich Rot als Akzentfarbe zur Kennzeichnung wichtiger Gegenstände oder Bereiche.
Foto: HEWI
- Wenn es um den Bau von barrierefreien Bädern geht, ist die DIN 18040-2 grundsätzlich sehr hilfreich. Es können sich aber auch Konflikte ergeben, z.B. wenn es um pflegebedürftige Menschen geht. Wie lassen sich diese Konflikte lösen?
Ich finde die DIN auch sehr hilfreich, doch sie wurde ursprünglich vor allem für Menschen mit Behinderungen formuliert. In Hinblick auf meine Zielgruppe der älteren Menschen steht die Definition von Pflegebedarf in einem Widerspruch zur Zielsetzung der Norm. Ziel der DIN 18040-2 ist die Nutzung von Gebäuden „ohne fremde Hilfe“. Pflegebedürftigkeit beinhaltet jedoch per Definition die Notwendigkeit der Hilfe durch andere Personen. Daraus entstehen in der Praxis z.B. andere und größere Flächenanforderungen für die unterstützenden Personen, ich hatte das vorhin schonmal erläutert. Das ist ein echter Ziel- und Definitionskonflikt, der manchmal einen Normentransfer bzw. eine besondere Auslegung der DIN für Menschen mit Pflegebedarf oder mit Demenz erfordert.
- In Ihrem Buch sprechen Sie u.a. die Öffnungsklauseln der DIN 18040-2 an und ermuntern zur kritischen Auseinandersetzung mit der Norm und zur Diskussion über Lösungsalternativen. Was meinen Sie damit genau?
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Die DIN 18040-2 wird oft kritisiert, weil sie entweder zu viel oder nicht genug oder nicht das Richtige für alle Zielgruppen einfordert oder wegen des oben beschriebenen Anwendungskonflikts.
Ich teile diese Kritik nicht, denn die Struktur der DIN 18040-2 gibt uns meines Erachtens ausreichende Interpretations- und Abweichungsspielräume. Diese Normenreihe formuliert Schutzziele, die es zu erfüllen gilt und bietet beispielhafte Lösungen dazu an, wie man sie erfüllen könnte. Außerdem beinhaltet sie zwei wichtige Öffnungsklauseln, die leider kaum beachtet werden und selten zur Anwendung kommen, uns aber im Grunde einen sehr freien Umgang mit der DIN 18040-2 erlauben:
1. „Die mit den Anforderungen nach dieser Norm verfolgten Schutzziele können auch auf andere Weiseals in der Norm festgelegt erfüllt werden.
2. Für Bauvorhaben / Wohnanlagen für spezielle Nutzergruppen können zusätzliche oder andere Anforderungen notwendig sein.“
Diese beiden Sätze sollten wir in Diskussionen mit Behörden und Behindertenbeauftragten viel öfter als Argumentationshilfe und Chance für unkonventionelle Lösungen oder auch für Unterlassungen nutzen.
Dazu gibt es ein gutes Praxisbeispiel zum Thema Bäder für Menschen mit Demenz: Demenzerkrankte erkennen häufig ihr eigenes Spiegelbild nicht oder missdeuten es als Anwesenheit einer fremden Person im Raum. Dann müssen Spiegel im Bad weniger auffällig platziert oder ganz weggelassen werden, um die Badnutzung angstfrei und ohne Irritationen zu ermöglichen. Nach DIN 18040-2 ist zwar der tiefansetzende Spiegel eine der Lösungsvarianten um eine Waschtischnutzung auch im Sitzen zu ermöglichen, aber gemäß den Öffnungsklauseln rechtfertigt die spezielle Nutzergruppe nicht nur eine andere Platzierung, sondern sogar den völligen Verzicht auf Spiegel. Das ist natürlich erklärungsbedürftig. Nur plausible Alternativlösungen haben eine Chance auf Genehmigung. Von der DIN abweichenden Lösungsvorschläge für spezielle Nutzergruppen sollten wir deshalb in Barrierefrei-Konzepten nachvollziehbar darstellen und erläutern, um alle am Genehmigungsprozess Beteiligten mitzunehmen und davon zu überzeugen.
Das Interview erschien zuerst auf der Internetplattform Aktion Barrierefreies Bad und wurde von Daniela Heinemann geführt.