Mit Gespür und Know-how die richtige Farbwahl treffen


Dr. Hildegard Kalthegener - Farbstudio Dr. K
„Außer Farbe nichts gelernt!“, fasst Dr. Hildegard Kalthegener als gefragte Farbexpertin und -designerin ihren Werdegang manchmal scherzhaft selbst zusammen. Ganz früh schon ist sie der Farbe verfallen, bemalte zunächst daheim Anstecknadeln, Lampen, Türbeschläge, Gitarren und Fahrräder, finanzierte so schon früh ihre erste Stereoanlage.
Jahrzehnte später promovierte die Designerin über die Zusammenhänge von künstlerischer Kreativität und rational nachvollziehbarer Begründung im Hinblick auf Farbentscheidungen. Seit vielen Jahren wirkt sie in Theorie und Praxis auch als Dozentin und Autorin in den Gebieten Design, Marketing und Architektur, Deutschland- und Europaweit, manchmal sogar in Asien.
Die Kunden von Dr. Kalthegener stammen aus Handel und Herstellung in den Bereichen von Möbel-, Farben-, Bodenbelags-, Küchen- und Zuliefererindustrie; weiter sind es Kammern, Universitäten, Designstudios und Architekturbüros.
Farben sind
im Badezimmer wieder absolut angesagt. Das gilt nicht nur für Boden, Wand und
Deckenflächen – auch Armaturen und Keramiken, Waschbecken und Fliesen, Dusch-
und Badewannen dürfen gerne Farbe bekennen. Aber wie passen die richtigen
Farben zusammen, was steckt hinter Farbstandards wie Pantone, NCS und RAL?
Welche Farbtrends treffen im Jahr 2022 den Geschmack der Kunden und wie lässt
sich das für die Badplanung nutzen? In unserem Gastbeitrag widmet sich die Farbexpertin Dr. Hildegard Kalthegener diesen und weiteren Fragen.
Ein neues
Bad muss nicht nur funktionieren, es soll begeistern, attraktiv sein und
gefallen. Die Farbwahl und -beratung im Vorfeld ist dafür ein wesentlicher
Aspekt. Das sollte man nicht dem Maler überlassen, es wäre ein großes Risiko,
da er nun mal kein Badexperte ist. Auch der Kunde ist Laie auf dem Gebiet. Er
ist nicht sicher, ob und welche Farbe für eine Investition in der Größenordnung
eines neuen Badezimmers angemessen ist. Vielleicht hat er noch die erbsengrünen
Fliesen seiner Eltern oder das Waschbecken in Bahama-Beige aus den
1970er-Jahren als abschreckende Beispiele vor Augen? Kein Wunder, dass die
Chromophobie, also die Angst vor der Farbe, ausgeprägt ist. Nicht nur für diese
Fälle gibt es mittlerweile sogar einen ganz speziellen Fächer mit Farben für
Sanitärobjekte.
Farbtrends im Wandel der Zeiten
In den
1960er- und 1970er-Jahren hat man tief in den Farbtopf gegriffen. Seitdem haben
sich die Präferenzen immer wieder deutlich geändert, bis alles zunächst beige
und dann weiß wurde, um nur ja keinen Fehler zu machen. Im Interieur gab es
nach Weiß vorübergehend eine große Rotwelle, ehe Limettengrün zwischen 2000 und
2010 auf den Spitzenplatz in der Rangliste der Farbenindustrie kletterte.
Anschließend wurde es wieder ruhiger um die Farbe, und eine große unbunte, also
graue Welle überrollte uns. Parallel dazu kam Puderrosa ins Spiel und gewann im
Marketing eine starke Bedeutung. Für große Flächen und langlebige Badkeramik
ist es aber natürlich den meisten Kunden zu süßlich und zu einseitig, weil zu
feminin.
Erbsengrün,
Amazonas und Limette wurden durch Salbei und Eukalyptus abgelöst, zwei nun
schon seit längerer Zeit gefragte Nuancen, die hell und dezent sind. Naturnah statt
grell entsprechen sie seit Jahren unserem Zeitgeist. Sie fehlten in kaum einer
Dekoration der Aussteller auf den internationalen Möbelmessen und haben es auf
die Fronten der Einbauküchen geschafft. Aber nicht nur kurzlebige Deko und
Textilien, sondern auch Wandfarbe und langlebige, hochwertige (Bad-)Möbel
müssen vor allem eines: Nachhaltigkeit ausdrücken. Und wie funktioniert das
besonders gut und offensichtlich, wenn nicht durch den cleveren Einsatz der
Farbe Grün in der richtigen Nuance? Hier schließt sich mittlerweile sogar der
ein oder andere Hersteller von Einbauelementen im Bad an. Besonders
trendorientiert ist der frisch überarbeitete salbeigrüne Einbauwaschtisch von
Bette. Dort heißt er Evergreen und wird gezeigt in Kombination mit dunkelgrauem,
fein gesprenkeltem Mineralgussobjekt und wasserabweisendem Wandanstrich.
Außer
Amazonas hat Terrakotta ein völlig neues Eigenleben entwickelt. Jahrzehntelang
war es als altmodisch verschrien, bevor es Mitte 2021 in strahlendem Glanz als
porenfreie Duschfliese Bette-Air aus glasiertem Titan-Stahl wieder in
Erscheinung trat. Besonders ausdrucksvoll ist diese Duschfläche kombiniert mit
mattschwarzer Armatur auf einem Wandanstrich, der perfekt auf die Farbe,
nämlich das Terrakotta, abgestimmt ist. Umgeben wird das Ensemble von
elegantem, mehrfarbigem Terrazzo mit extrem großen Einsprengseln. „Carneol“
heißt das neue Terrakotta in diesem Fall, die Duschfliese ist allerdings auch
in 30 anderen Farben erhältlich.
Farbdesign als (Beratungs-)Chance begreifen
In
Badausstellungen wird das Thema Farbe meist etwas stiefmütterlich behandelt.
Schade, wie ich finde, da es eine große Chance für das Beratungs- und
Verkaufsgespräch mit dem Kunden darstellt. Das Thema Farbdesign nicht zu
nutzen, ist eine verschenkte Chance. Farbe beeinflusst in starkem Maße die
Stimmung, prägt die Präferenzen von Kunden und kann die Kaufentscheidung in
vielen Bereichen lenken. Die Kundschaft ist heutzutage anspruchsvoll und
informierter als je zuvor, nicht zuletzt auf dem Gebiet von Farbtrends und
Badgestaltung.
Kunden haben
viel gelesen und recherchiert, aber nicht unsere Erfahrung und sind daher
verunsichert. Wenn wir also überzeugen wollen, müssen wir unsere Kompetenzen
stärken, geschickt einsetzen und auch zum Thema Farbtrends die Nase vorn haben.
Das heißt nicht, dass es für jeden Interessenten kunterbunt wie im Kindergarten
zugehen soll, aber wenn ein Kunde Farbe mag und unsicher ist, müssen wir darauf
vorbereitet sein, ihm fachkundig weiterzuhelfen. Dafür gibt es ein großes Angebot
an Farbfächern und -systemen sowie gute, übersichtliche Argumente, die man
schnell erlernen kann, ohne dass man gleich Design studieren muss. Farbe hat
das Potenzial, aus jedem Bad einen ganz besonderen, persönlichen Raum zu
machen.
Besonders
hilfreich und angesagt sind zurzeit kleine Kollektionen mit etwa 30 bis 100
ausgewählten Nuancen sowie Farbfächer mit großen Mustern. Manche haben nur eine
Farbe pro Seite, sodass man sich die Nuance leichter im Raum vorstellen kann,
als wenn man zehn winzige Muster pro Seite im Fächer gleichzeitig sieht und
damit überfordert ist. Diese hochwertigen Farbfächer findet man nicht so oft im
Baumarkt, sie eignen sich gut für Architekten, Badplaner und den qualifizierten
Fachhandel, um spezielle Kompetenz schnell sicht- und greifbar zu machen.
Seit fast
einem Jahrhundert bis heute bewährt haben sich die Farben aus der Palette
„Polychromie Architecturale“ nach dem Architekten Le Corbusier. Aber auch zu
den Designprinzipien aus dem Bauhaus, einer der größten Design- und Architekturinstitutionen
der Geschichte (und nicht die Baumarkt-Kette!), gibt es eine passende
Farbkollektion. Weiter sind spezielle Fächer mit allen Nuancen um Weiß oder ein
„Schwarz-Fächer“ hilfreiche Werkzeuge, die man z. B. von Caparol oder Sikkens erwerben kann, ohne gleich ein Konto aufzulösen. Der Kunde kennt diese Fächer
meist nicht und ist damit leicht zu beeindrucken, weil er mit einer Farbe pro
Seite für nur scheinbar einfache Farbentscheidungen um Weiß, Grau und Schwarz
eine echte Hilfestellung bekommt.
Aktuelle Farbtrends
Eine klare
Meinung zu Farbtrends zu haben, ist eine gute Chance aufzuzeigen, dass man
informiert und auf der Höhe der Zeit ist. Seit Anfang des Jahres hört und liest
man immer wieder von „Very Peri“, aber was hat es eigentlich damit auf sich?
Der Name ist abgeleitet von „Periwinkle“, dem englischen Namen für unser
Immergrün, aus der Botanik dem ein oder anderen auch als „Vinca Minor“
bekannt.
Die kleinen,
zurückhaltenden violett-blauen Blüten des Immergrüns standen Pate für die Farbe
des Jahres 2022, die das „Pantone Institute“ als einer der drei weltweit
größten Farbmusterhersteller nach sorgfältiger Recherche und längerer
Diskussion innerhalb seines Trendforschungsteams ausgerufen hat. Diese Farbe
passt zwar als Textil in der Mode, als Dekoration im Interieur, für Kosmetik
und vielleicht auch als Wandfarbe auf einer Fläche ganz gut zum gegenwärtigen
Zeitgeist, leider aber weniger für den großflächigen Einsatz im Haus oder gar
im Bad.
Außer dem
amerikanischen Pantone-System gibt es zwei andere wichtige internationale
Farbstandards: das schwedische „Natural Colour System“ (NCS) und das deutsche
RAL. Die Trendvorhersagen dieser beiden Institute umfassen pro Jahr fünf bis
zehn Farben für meist vier verschiedene aktuelle Trendthemen. Sie sind also
wesentlich komplexer und relativ abstrakt und bekommen daher nicht so viel
Aufmerksamkeit von der allgemeinen Presse. Sie werden mehr von interessiertem
Fachpublikum berücksichtigt, meist von Designern und Architekten.
Während
Pantone, NCS und RAL Farbstandards produzieren, Farbfächer und Muster, aber
keinen einzigen Eimer Farbe liefern, engagiert sich auch die deutsche und die
internationale Farbenindustrie stark beim Thema Trends. In Deutschland hat die
Farbe des Jahres keine besondere Tradition, aber der große deutsche
Farbenhersteller Caparol hat dennoch „Mauve“ für 2022 ausgewählt. Es handelt
sich um ein Rosé, inspiriert durch die Malvenblüte: hell, freundlich und
dezent, aber eben deutlich auf der femininen
Seite.
Nicht nur die Natur ist grün
Zur
Beurteilung von Entwicklungen hilft auch der Blick über den großen Teich. Unter
den Toptrends der amerikanischen Farbenindustrie dominieren 2022 als „Colour of
the Year“ ganz klar Nuancen um Eukalyptus und Salbei, auch wenn sie hier andere
Namen haben, z. B. „Evergreen Fog“. Weiter standen in den USA der „Morgendunst
im Oktober“ und der „Weg des Windes“ Pate für Farben des Jahres. Bei Akzo,
einem niederländischen Farbenkonzern (mit Sikkens als deutscher Tochter), wurde
ein blasses Blau vom „Heiteren Himmel“ inspiriert, während das silbrige Grün
des Olivenzweigs von Sigma, einer deutschen Farbenfirma mit amerikanischem
Mutterkonzern, den Farbkreis Richtung Eukalyptus wieder schließt.
Gemeinsam
haben die genannten Nuancen alle, dass sie hell, freundlich und zurückhaltend
sind, etwas dunstig und luftig in einer Zeit, in der man nicht genau weiß, wie
es weitergeht. Klarer als je zuvor ist aber, dass die Natur in einer nachhaltig
geprägten Zukunft eine wichtige Rolle spielt, weshalb die hellen, vergrauten
Grün-Nuancen eine sichere Wahl auch im Bad bleiben. Es muss ja nicht immer
gleich das Sanitärobjekt sein, auch als Wandanstrich oder geflieste Themenwand
sind leise Töne attraktiv. Warum internationale Farbenfirmen relevant sind für
die deutsche Badplanung? Die Farbenindustrie recherchiert sehr gewissenhaft die
globale Stimmung und die damit verbundene Farbpräferenz. Sie investiert
riesige Etats in die Vermarktung der jeweiligen Farbe des Jahres, auch bei
ihren deutschen Tochterfirmen. Darüber hinaus ist die Anstrichfarbe im
Interieur als langlebiges Produkt natürlich näher an den Farbtrends im Bad als
die kurzfristig populären Farben der internationalen Laufstege.
Wie lange hält sich eine Trendfarbe eigentlich?

Unbunte
Nuancen um Alabaster, Lehm und Leinen sind eine sichere Wahl für Bad und
Einbauküche, eben für alle Objekte, die lange im Haus bleiben.
Foto: Geberit
In Küche,
Bad und Architektur dreht sich das Trendrad langsam. Verständlich, da es sich
um langfristige Investitionen handelt. Der deutsche Durchschnittsverbraucher
kauft sich grob gesagt alle 10 bis 20 Jahre eine neue Einbauküche.
Fassadenanstrich und Badrenovierung passieren meist auch nicht öfter. Und dann
will man nicht mutig experimentieren, sondern sicher sein und genau richtig
liegen. Wenn also so viele große Farbenfirmen ähnlich in der Bestimmung der
aktuellen Zeitgeistfarbe liegen, was übrigens noch nicht oft passiert ist, kann
man ziemlich sicher sein, dass sich dieser Trend deutlich länger als ein Jahr
halten wird, die oben beschriebene Entwicklung wird also über 2022 hinaus
Bestand haben.
Wem der
Einsatz von Farbe für die langlebigen Objekte zu riskant ist, der kann die
„Colour of the Year“ in Werbung und Deko oder als Blickfang in der Ausstellung
aufgreifen, um Lust auf frischen Wind im Bad zu machen, sei es mit „Very Peri“
oder mit Eukalyptus als Evergreen. Müssen wir uns nach dem Trend richten? Man
muss natürlich nicht, aber die Kenntnisnahme der grundlegendsten Ergebnisse der
Trendforschung hilft, alle Chancen zu nutzen, um sowohl Kundenbad wie auch
Badausstellung aktuell, attraktiv und erfolgreich zu gestalten.
Dieser
Artikel erschien zuerst in der Fachzeitschrift für Sanitär, Heizung, Klima SBZ.