Interview Paul Flowers: „Das Bad wird zu einem Ort der Gesundheitsdiagnostik.“

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Paul Flowers, britischer Designer und seit 2005 als Senior Vice President Design bei der Grohe AG für deren kreative strategische Markenausrichtung verantwortlich, erwartet von der fortschreitenden Digitalisierung des Badezimmers vor allem mehr individuellen Komfort, aber auch eine stärkere emotionale Bindung – unterstützt durch wohnliche Gestaltung und mehr Wahlmöglichkeiten bei der Ausstattung.  

Paul Flowers studierte an der University of Northumbria (Newcastle) und arbeitete vor seinem Einstieg bei GROHE bereits für kleinere, renommierte Londoner Design Studios ebenso wie für einige der größten Unternehmen der Welt, wie IBM (UK), Electrolux (Italien), Philips (Niederlande). Seit 2005 ist er für die kreative strategische Ausrichtung der Marke GROHE weltweit verantwortlich. 

Herr Flowers, Stress und Hektik bestimmen vielfach unseren Alltag. Wo können wir unsere Ich-Zeit nehmen?

Zeit ist das Wertvollste im heutigen Leben geworden. Menschen arbeiten tendenziell immer länger und haben einen stressreicheren Alltag. Daher nimmt das Badezimmer im eigenen Zuhause eine besondere Rolle ein. Genau betrachtet ist es der einzige Raum, der ein aktiv genutztes Türschloss hat, das also regelmäßig abgeschlossen wird. Das Bad ist der letzte Zufluchtsort in den eigenen vier Wänden. Anders als andere Räume entwickelt es sich von einem rationalen, zweckorientierten Ort für Hygiene und Körperpflege mehr und mehr zu einem emotionalen Raum: Dort nehmen wir uns Zeit für uns selbst, können uns erholen und einfach abschalten. 

Ist der Besuch einer Wellness-Oase als Individual-Erlebnis nicht mehr so attraktiv?

Zu Hause einen Wellness-Bereich zu haben – das bedeutet, das öffentliche Spa zum Teil der privaten Lebenswelt zu machen. Wirklich gute Wellness-Angebote zu nutzen, erforderte bisher viel zeitlichen Aufwand. Diese Zeit ist vielen Menschen inzwischen zu kostbar. Durch die Privatisierung fällt diese hemmende Barriere weg. Wellness wird so leicht zugänglich und kann jederzeit erfahren werden. 

Wir holen uns also unser Gesundungszentrum nach Hause?

Das Badezimmer wird zu einer Zone, die ich als „passive digital“ bezeichne. Digitalisierung hilft uns beispielsweise Wasser zu sparen, audiovisuelle Erlebnisse im Bad zu ermöglichen und den Komfort zu steigern, indem sich etwa individuelle Einstellungsprofile an den Armaturen speichern und abrufen lassen. Diese passive Digitalität macht viele Dinge bequemer. Zugleich wird das Bad künftig zu einem perfekten Ort der Gesundheitsdiagnostik. Und zwar durch das, was ich aktive Digitalität nenne: Die Produktion von Daten, die weiterverwendet werden können. Hier lassen sich auf sehr einfache, diskrete Art Körperwerte erfassen. Was heute bereits zum Beispiel die medizinische Toilette tut, um Urinwerte zu messen, werden wir auch in anderen Bereichen erleben: Puls, Gewicht, Blutdruck – sämtliche Körperwerte werden erfassbar. 

Bauen wir mit dieser Art der (Selbst-)Kontrolle nicht nur weiteren Druck auf?

Mit dieser Datenmenge vertrauensvoll und sinnvoll umzugehen, wird natürlich zur Herausforderung für Unternehmen: Wie genau kommen wir an die Daten und wie geben wir die Ergebnisse so wieder heraus, dass sie intuitiv verständlich und hilfreich sind statt Verwirrung zu stiften. Informationen sind dann richtig vermittelt, wenn man Spaß an ihnen hat. Niemand ist begeistert, wenn man jeden Tag hört, dass man zu schwer ist oder der Cholesterinwert zu hoch ist. Da muss intelligent selektiert werden und auch der Vermittlungsturnus klug gewählt werden, sodass Informationen vielleicht nicht täglich, sondern als monatliches Update präsentiert werden. 

Wie könnte die Information dargestellt werden?

Die Visualisierung von Gesundheitsdaten im Bad wird eine große Rolle spielen. Wir haben große Freiflächen aus Glas und Keramik, es gibt Spiegel und andere Oberflächen, auf die sich Informationen projizieren ließen, als Icons oder einfache Textbotschaften. Denkbar ist aber auch ein Audio-Feedback. 

Das Bad, dein Freund und Helfer?

Menschen, die oft umziehen, investieren viel in Möbelstücke, die ihnen wichtig sind und die sie bei jedem Umzug mitnehmen. Sie bauen eine emotionale Beziehung zu diesen Gegenständen auf, aus denen dann Geschichten entstehen. Mit der Badeinrichtung passiert das bislang nicht. Weil man mit ihr nicht umziehen kann, wird hierin vergleichsweise wenig investiert. Das ist paradox, denn gerade mit der Einrichtung des Bades hat man einen sehr direkten körperlichen Kontakt. Das wird sich künftig ändern: Menschen werden die Möglichkeit bekommen, auch zu Einrichtungsstücken im Bad eine persönliche Verbindung aufzubauen, sie zum Teil ihrer Geschichte und Identität zu machen, die sie mitnehmen können, wenn sie es wollen. Gegenstände mit einer solchen Bedeutung aufzuladen gelingt etwa über emotionale Materialien wie Holz. 

Stehen wir damit auch vor einer stärkeren Individualisierung des Badezimmers?

Wahlfreiheit führt zu einer starken emotionalen Bindung. Der eigene Geschmack ist etwas sehr Persönliches. Der Farbe zum Beispiel kommt bei der Emotionalisierung von Dingen eine wichtige Rolle zu. Eine andere Möglichkeit ist die individuelle Auswahl aus verschiedenen Materialien. Das ist bisher zwar noch eine recht teure Angelegenheit, wird langfristig aber sicher erschwinglicher.