Badezone
Das Bild vom Bad als rechteckige Box mit den an der Wand aufgereihten Becken, WC und Wannen ist überholt. Heute werden ganzheitliche Badkonzepte angeboten, die den Raum innenarchitektonisch gliedern. Die Sanitärbranche macht aus dem Bad ein Zimmer mit unterschiedlichen Zonen, die der Hygiene, dem Styling oder der Regeneration dienen können.
Baddesign ist schon lange nicht mehr „nur“ Produktdesign. Der Funktions- und Bedeutungswandel des Badezimmers beeinflusst neben dem Produktdesign auch immer mehr den Raum, seine Größe und Struktur. Die Hersteller planen bei neuen Badkollektionen daher auch zunehmend die Möglichkeiten mit ein, wie das Produkt für die Raumnutzung und –gestaltung eingesetzt werden kann. Solche Konzepte antworten auf das Konsumentenbedürfnis nach einer ganzheitlichen Badgestaltung und enthalten auch schon mal Empfehlungen für das Interior Design, etwa Empfehlungen für Materialien, Farben, Kombinationen, Lichtführung, Accessoires und so weiter und so weiter. Die Sanitärobjekte ragen in den Raum hinein oder werden mittig platziert, es entstehen Sichtachsen, sich durchdringende oder abgeschirmte Raumteile. Aus Duschen werden Raumteiler, Vorwandelemente nehmen Armaturen und Waschbecken auf, und das WC verschwindet, wenn schon nicht ganz aus dem Bad, so doch zumindest in eine abtrennbare Nische. Denn der Rest des Bades wird als Wohnfläche definiert, die etwa durch Relax-Möbel und Teppiche gestaltet wird.
Jede Wohnung, jedes Zimmer erzählt von dem persönlichen Stil seiner Bewohner. Üblicherweise kommt der individuelle Charakter in der Wahl der Möbel und ihrer Platzierung im Raum zum Ausdruck. Wie ist das Sofa ausgerichtet (zum Fernseher, in den Raum oder als Sitzgruppe)? Gibt es einen Esstisch? Eine übersichtliche Vitrine oder eher ein überquellendes Bücherregal? Steht eine moderne Hifi-Anlage mit Relax-Liege oder ein Klavier im Zentrum? Bei jedem Umzug werden die guten Stücke wie Soldaten vorgeschickt, den Raum zu erobern und ihn dem Menschen anzueignen. Nur im Bad bleiben die meisten Wohnenden irgendwie immer bloß Gast. Bis auf einige Requisiten gibt es hier kaum Möglichkeiten, das Retortenformat zu individualisieren. Selbst Hauseigentümer vermögen ihren Bädern oft nicht mehr Profil zu geben als den Zeitgeschmack, welcher während des Hausbaus oder der Renovierung gerade vorherrscht. Das Bad – das ist gemeinhin der Raum, der bei der Grundrissplanung übrig bleibt und nun mit dem üblichen Programm in willkürlicher Reihenfolge des Auftritts besetzt wird. Das Ensemble wird dabei aus den Kollektionen rekrutiert, die von der Industrie in diversen Stilen angeboten werden. Wer wo steht, auf wen das Rampenlicht fällt, ob der Hauptakteur hinter den Komparsen verschwindet oder neben dem WC Würde bewahren muss, ist den Planern meist herzlich egal – Hauptsache, das gebuchte Ensemble kann irgendwie auf der Bühne untergebracht werden.
Natürlich ist diese Vorgehensweise überholt, doch sie ist immer noch Standard. Dabei ist auch das von den Sanitärherstellern verfolgte Kollektionsprinzip längst über diesen Status hinaus. Die Produktprogramme von heute sind keine schlichten, einem bestimmten Muster folgenden Besetzungslisten mehr; vielmehr ist in ihnen bereits eine Vorstellung von der Inszenierung enthalten. Die Kombination von Keramikserien mit Badmöbeln in ausdrucksstarken Oberflächen, die Entwicklung von passenden Accessoires, die Formensprache an sich sowie Armaturen, deren charakterstarkes Profil nur mit bestimmten Keramiken harmoniert – das sind die Instrumente der Interior Design-Konzepte anspruchsvoller Kollektionen. Die Produktinszenierung im Foto spielt dabei die wohl bedeutendste Nebenrolle, da auch über sie dem Konsumenten die Verwendung bestimmter Materialien, Farben, Kombinationen, Accessoires oder eine bestimmte Lichtführung nahe gelegt werden kann. Dies ist die erste Stufe der Individualisierung des Badezimmers.
Mit dem Raum arbeiten
Ob nun auf dem Foto, als Muster im Kopf des Konsumenten oder bei ambitionierten Architekten – die professionelle Planung des Bades wird in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Der Badplaner wird zum Regisseur, der die Objekte inszeniert und der vorgibt, wie der Mensch sich zwischen ihnen bewegt und wie er das Bad nutzen kann. Die räumliche Qualität des Bades wird dabei durch zwei gleichwertige Parameter bestimmt: zum einen durch die Gestaltung des Ambientes und die dramaturgische Wirkung von Formen, Farben, Materialien und Licht; zum anderen durch die räumliche Strukturierung mittels gezielt platzierter Sanitärobjekte. Um diese herum bildet sich aufgrund des benötigten Bewegungsspielraums, durch optische Differenzierung und/oder bauliche Elemente und Raumteiler ein „Hof“ – eine Nutzungszone.
Das Interior Design von Badezimmern ist eine etablierte Disziplin, die eine sehr kundenspezifische Aufgabe der Badplaner und Innenarchitekten darstellt. Mit der zweiten räumlichen Größe hingegen, der Strukturierung des Raums in Nutzungszonen, entdecken die Hersteller und Baddesigner gerade eine neue Möglichkeit der Badgestaltung für sich.
Die Ergonomie der Bedürfnisse
Welche Auswirkungen eine solche Herangehensweise auf das Produktdesign haben kann, beweist die Designgeschichte der Küche. Als Christine Frederick 1912 die Ergonomie des Arbeitsplatzes Küche analysierte, führten ihre Aufzeichnungen der Arbeitswege zu der Entwicklung einer völlig neuartigen Raum- und Produktgestaltung: Die so genannte „Frankfurter Küche“, für den Frankfurter Sozialen Wohnungsbau 1926 von Margarete Schütte-Lihotzky entwickelt, brachte die ehemals große Wohnküche auf nur 6,5 Quadratmetern unter und ersparte der Hausfrau gleichzeitig kilometerweite Wege. Die Einbauküche war geboren. Die Platzersparnis entstand vor allem durch die Ausgliederung der Zone, die zum Essen bestimmt war.
Über den Lifestyle der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – und darüber hinaus – verrät die Entstehung der Frankfurter Küche, dass zwischen Arbeiten und (gemeinschaftlichem) Leben getrennt wurde, um die Effizienz von Arbeitskraft und Raumnutzung zu steigern. Diese strikte Leistungsorientierung hatte ihre Entsprechung in der Verdrängung des Lustprinzips bei der Körperpflege – ein emotionaler Luxus, den sich kaum jemand leisten konnte. Entsprechend willkürlich wurden die Sanitärprodukte auf kleinstem Raum platziert. Da man hier wenig Zeit verbrachte, war auch eine ergonomische Analyse überflüssig.
Heute berücksichtigt die ergonomische Küchenplanung auch die Nutungsmöglichkeiten für gemeinsame Tätigkeiten. Platz für Geselligkeit ist genauso wichtig geworden wie arbeitstechnische Effizienz. Kein Wunder: Kochen und Essen wurden zu einer Kunstform erhoben.
Und im Bad? Auch hier werden mittlerweile die Wege zwischen den einzelnen Stationen analysiert. Aber es geht dabei nicht in erster Linie um Effizienz, sondern um Aufenthaltsqualität und eine bedarfsabhängige Zonierung des größer gewordenen Platzangebots. Körperpflege wurde in unserem Lebensstil aufgewertet, da sie nicht nur der Hygiene dient, sondern auch dem Genuss und der Entspannung. Als wertvoller Bestandteil unserer Kultur jedoch wird die Körperpflege ausdifferenziert in unterschiedliche Teilfunktionen – wie Toilette, Reinigung und Erfrischung, Gesichts- und Schönheitspflege, Tagesroutinen, Abschalten und Entspannen, Ankleiden und sogar Fitness oder Geselligkeit.
Natürlich ist die Zonierung des Bades mit einem hohen Platzbedarf verbunden. Es überrascht kaum, dass Impulse hierfür aus dem Objektbereich gekommen sind, insbesondere aus dem Interior Design großer Hotels. Die Erfahrung der Gäste mit anspruchsvoller Hotelarchitektur hat den Wunsch der Menschen nach ähnlichen Erlebnissen in den eigenen vier Wänden geweckt. Und eines der ersten Raumkonzepte für das Bad, das in einer eigenen Kollektion (für Axor) seine Realisierung fand und genauso für den Objekt- wie für den Privatbereich Musterlösungen bietet, stammt von einem Architekten, der reichlich Erfahrung mit dem Interior Design von Hotels hat: Antonio Citterio. Er trennte den Bereich der Reinigung mit Dusche und WC von dem der Entspannung mit der Badewanne als Zentrum ab, um letzteren Bereich enger an den Schlafbereich anbinden zu können. Ein anderes Raumkonzept nahm seinen Ausgangspunkt von einer minimalistischen Armatur (Mem, Dornbracht) und stellte das Wasser in den Mittelpunkt eines eher kontemplativen Entwurfs. Sehr praktisch wiederum ist das Schranksystem rc 40 (Burgbad), das ein modulares System für vielfältige Raumaufteilungen bietet. Mit begehbaren Schränken, Waschtischen und Konsolen vermittelt rc 40 zwischen Architektur, Möbel und Sanitärobjekten.
Die Wanne macht den Raum
Von den klassischen Ausstattungselementen gab die Badewanne den Ausschlag, Sanitärobjekte als Möbel aufzufassen, die einen Raum für sich benötigen. Das Bild der ersten Badkollektion von Philippe Starck hat dies deutlich gemacht. Heute ist die frei stehende Badewanne das Zentrum vieler Raumkonzepte, die das Bad als vollwertigen Raum mit unterschiedlichen Nutzungszonen auffassen. Dabei lösen sich die Sanitärobjekte mehr und mehr von der Wand, ragen in den Raum hinein oder werden mittig platziert. Dadurch entstehen Sichtachsen, sich durchdringende oder abgeschirmte Raumteile. Aus Duschen werden Raumteiler, Vorwandelemente nehmen Armaturen und Waschbecken auf, und das WC verschwindet, wenn schon nicht ganz aus dem Bad, so doch zumindest in eine abtrennbare Nische. Denn der Rest des Bades wird als Wohnfläche definiert, die etwa durch Relax-Möbel und Teppiche ausgestattet wird. Dabei ist der Umfang, die Struktur und die „Bespielung“ mit Sanitärausstattungen dem jeweiligen Bedarf entsprechend zu wählen. Standardrepertoires sind kein Pflichtprogramm mehr. Raumkonzepte – insbesondere, wenn sie von einem Badplaner auf eine Person, eine Familie oder eine Institution zugeschnitten werden – schaffen den lange vermissten Spielraum zur Individualisierung des Bades.
Die frei stehende Badewanne ist ein Symbol für ein Bad, dass neue Räume auftut: Räume für die Entspannung und für Träume, Räume für ein waches Körpergefühl, Räume für Pflege und Styling, Räume zum Nachdenken. In jeder zweiten Werbebotschaft und in den luxuriösen Hotelbädern steht sie für großzügige Raumkonzepte und vielfältige Genusskultur. Wenn solche Konzepte auch nicht in allen Privatbädern umgesetzt werden können, wird dieses Bild mit der Zeit doch unsere Badkultur verändern. So, wie die Eskimos mehr Begriffe für Schnee in ihrer Sprache besitzen, so entwickeln wir immer mehr Vorstellungen und Begriffe von den Nutzungsmöglichkeiten des Badezimmers. In unserer materiell orientierten Kultur zeigt sich der Bedeutungswandel zunächst an der Zunahme der Badprodukte und dann an der stärkeren räumlichen Differenzierung. Die Römer hatten ihr Frigidarium, ihre Massagebänke und ihr Caldarium – wie eine moderne Ikonologie aussehen könnte, hat Dornbracht mit dem Raumkonzept und Produktprogramm Elemental Spa vorgeschlagen. Doch auch jenseits solch aufwändiger Ritualarchitektur entwickeln sich in unseren Badezimmern neue Lebensgewohnheiten und Rituale, die Wasser, Raum und Zeit verbinden.
Text: Claudia Wanninger