Warum nicht rund?

Kaldewei, Piatto 

Das künftige Avantgarde-Bad rüstet nicht auf, sondern gibt nach. Innovative Produkte ermutigen zu einem veränderten Verständnis des Bades: Wo sich der Mensch nackt bewegt, sollen ihm möglichst wenig harte Ecken und Kanten begegnen. 

Die Erwartungen richten sich weniger auf technische Features als auf den Einsatz neuer oder ungewohnter Materialien im Badezimmer: Materialien, die warm sind und eine samtige Oberfläche zeigen; dick belegte Böden und gepolsterte Podeste und elastische Kunststoffe sollen das Gefühl von Geborgenheit unterstützen. Die weiche Optik zieht sich durch die Form- und Farbgebung bis in die Lichtinszenierung. Symbol für das weiche Badezimmer ist eine neue, weich ummantelte Badewanne. Hersteller und Designer sind auf der Suche nach neuen Kunststoffen für den Sanitäreinsatz, die sowohl weich und nachgiebig sind als auch stabil und hygienisch. Der auch durch digitale Entwurfsprogramme initiierte Stiltrend zu einem organischen, meist volumenbestimmten Design unterstützt diese „softe“ Entwicklung und vermischt sich mit dem Wunsch nach einer natürlich wirkenden Gestaltung. 

Die Vorstellung ist ungewohnt, aber nicht unangenehm: ein Bad, das nachgibt wie ein Bett aus Schaumstoff. Wenn Sonja morgens aus dem Bett steigt, lässt sie ihre warmen Pantoffel links liegen, denn der Boden, den sie jetzt betritt, ist warm und weich. Kein Teppich, sondern eine glatte Fläche, die unter ihrem Fuß nur ganz leicht nachgibt. Eigentlich hätte sie lieber Parkett im Bad gehabt, vielleicht mit einem Teppich in der Mitte. Aber heute ist sie froh, sich für ein Soft bathroom mit warmem Gel-Fußbodenbelag entschieden zu haben. Sie knipst das Licht an, das die indirekten Leuchten über dem Waschtisch und die mit einer Art Segeltuch abgespannte Deckenleuchte in der Mitte des Raums sanft aufglimmen lässt (ihrem persönlichen Morgenmuffel-Programm entsprechend beginnt der Tag auf abgedimmter Stufe und wird erst allmählich heller). Noch etwas verschlafen wankt sie gegen das Waschbecken, das sie mit weichen Kurven und abgerundetem Rand willkommen heißt. Selbst die Armatur wirkt mit ihrer samt-gebürsteten Oberfläche, der weich geschwungenen Form und den knubbeligen Griffen irgendwie freundlich und fast menschlich. Nachdem sie sich ein paar Hände kaltes Wasser ins Gesicht gespritzt hat, sieht die Welt schon wieder klarer aus, und sie freut sich auf die Dusche. Früher hatte sie eine Badewanne mit einer Duschzone, doch in ihrer neuen Wanne kann man nicht so gut stehen, deshalb hatte sie sich für eine extra Dusche entschieden – sie sieht sowieso eher aus wie eine Raumecke, da die Duschfläche auf einer Ebene mit dem Bodenbelag zu liegen scheint. Auch diese Fläche ist weich, samtig und rutschfest, und so ziemlich das einzige, was in diesem Bad nicht rund ist. Nach der Dusche fühlt sie sich endlich wach und fit für den Tag. Die weiche Schwalldusche am Schluss war wie ein Wasserfall. Sie fühlt sich dabei stets an Bilder aus diesen Naturfilmen erinnert, in denen die Leute durch die hügeligen Farnwälder von Wales stapfen oder durch irgendwelchen Alpenschluchten wandern. Vor allem dann, wenn der breite, weiche Wasserstrahl aus der Wannenarmatur in die ovale Beckensenke plätschert. Inzwischen scheint die Sonne durchs Fenster, und sie schaltet das Licht ab. Erinnerungsselig denkt sie an das Bad, das sie gestern Abend genommen hatte, um ihre Verspannungen los zu werden: Noch nie hatte sie ein so intensives Gefühl des Schwebens. Dabei braucht sie dafür noch nicht einmal so viel Wasser wie früher! Sie kam sich vor wie auf Wolke 7, und das sanfte Nachgeben und Federn des Wanneninneren hatte etwas fast Unwirkliches. Da sie sonst stets mit beiden Beinen fest auf der Erde steht, kann so ein bisschen Träumen ja nicht schaden, findet sie, und schließt die Tür hinter sich. 

LG himacs 

Mehr als ein bloßes Gedankenspiel

Träume wie diese sind keine allzu ferne Zukunftsmusik mehr, sondern vielleicht schon bald eine realistische Möglichkeit. Bislang waren es vor allem Designer, die Fragen stellten wie: Warum muss ein Bad nur aus rechten Winkeln bestehen? Warum muss ein Bad überall harte Kanten haben, an denen wir uns stoßen können? Warum muss ein Bad überhaupt hart sein? Doch das könnte sich ändern. Schließlich sind das grundsätzliche Überlegungen, die sich geradezu aufdrängen, wenn man über die Zukunft des Bades nachdenkt. Von den Designern kommen immer wieder Vorschläge für weiche Rundungen und amorphe Formen. Ihre Badvisionen, künstlerischen Installationen und Studien werden weniger durch grafische Linien als durch plastische Volumen bestimmt. Und das liegt nicht nur an den seit einigen Jahren in der Praxis etablierten und erprobten Computerprogrammen, die das digitale Design mit atemberaubenden Formen ermöglichen. Vielmehr scheint das Bad geradezu nach weichen Konturen zu verlangen, da der Mensch sich hier nackt bewegt und körpergerechte Formen braucht, um sich zu entspannen und geborgen fühlen zu können. 

 

Auch die Materialfrage ist offen. Denn die Suche nach einer Alternative zur Keramik und zum Sanitäracryl dürfte in wenigen Jahren Kunststoffe ergeben, die sowohl weich und nachgiebig sind als auch stabil und hygienisch. Dann steht einem wirklich weichen und warmen Badezimmer nichts mehr im Wege. Eine Badewanne, deren Boden nachgibt, sodass der Badende tatsächlich ein schwebendes Gefühl hat? Ein Duschboden, der nicht mehr kalt und rutschig, sondern warm und weich wie ein Sandstrand ist? Diese Gedanken sind so revolutionär, dass die Designer sich auch formal eine völlig neue Erscheinung der Ausstattungselemente vorstellen können. Dabei sind die Sanitärobjekte auch nicht mehr an die Wand gebunden, sondern frei im Raum platzierbar. Diese Szenarien sind gar nicht so utopisch, wie sie klingen, und die Designentwürfe längst nicht so futuristisch, wie sie auf den ersten Blick wirken. Schaut man sich die Möbel von Zaha Hadid, die Kreationen von Ross Lovegrove oder die Bauten von Frank O. Gehry und Ben van Berkel an, erscheinen diese Badideen durchaus realistisch. 

Herausforderung für die Branche

Bis jetzt sind es erst einzelne Produkte, die mit innovativem Materialeinsatz und ambitioniertem Design dem Soft bathroom-Ansatz folgen. So etwa die Badewanne Soft Bath (Design: Marc Sadler) von Ideal Standard. Von der Verwirklichung der Designerstudien oder Sonjas kompletten „weichen“ Badezimmers aus dem obigen Gedankenspiel ist die Branche noch weit entfernt. Der Wunsch nach organischen Formen und „Blob“-Architektur-kompatiblen Interiors wird allerdings auch das Design der Badprogramme beeinflussen. Das Soft bathroom stellt eine Möglichkeit dar, ganz neue Produkttypen und innovative Techniken zu entwickeln. 

 

Auffällig ist aber auch, dass bei den meisten Designstudien der Waschplatz eine zentrale Rolle behält und vor allem das Wasser besonders in Szene setzt. Wasser hat damit auch nach 2000 Jahren Badkultur nichts von seiner Faszination eingebüßt. Es bleibt kostbar und geheimnisvoll, vor allem aber: weich. 

 

Text: Frank A. Reinhardt