Star-Designer gestorben: Luigi Colani revolutionierte das Badezimmer-Design

09/19

Er selbst war ein Typ mit Ecken und Kanten, sein Design jedoch prägte die geschwungene, organische Form. Am Montag, dem 16. September 2019, ist Luigi Colani im Alter von 91 Jahren in Karlsruhe gestorben. Bekannt wurde er vor allem durch seine aerodynamische Gestaltung von Autos und Flugzeuge. Doch auch vielen Alltagsgegenständen und Möbeln verlieh er sein Aussehen. Mit seinem für Villeroy & Boch entworfenen Badprogramm leitete er sogar eine Revolution in der Sanitärbranche ein. Denn das Engagement eines Designers für den Badbereich galt damals als Novum.

Die auf der ISH 1975 erstmals gezeigte Keramiklinie präsentierte nicht nur eine neue, ergonomisch begründete Formensprache. Durch seine Designabstimmung zwischen den einzelnen Keramikteilen und ein Farbkonzept, das sich auf alle Produkte übertragen ließ, kann Colani als Gründer des Kollektionsprinzips im Baddesign gelten. Die Kollektion hatte enormen Einfluss auf die daraus folgende Angebotsentwicklung und war der zentrale Auslöser für das Entstehen der heutigen Badkultur. Mit ihr begann das Badezimmer, ästhetische Individualität anzunehmen. Ein Grundstein, der in den Farb- und Lifestyle-Konzepten, die auf der Design-Plattform Pop up my Bathroom präsentiert werden, seine Weiterentwicklung findet.


Bei der Recherche in den Archiven sind wir auf ein Interview aus dem Jahr 2000 gestoßen, dass wir zu Ehren des wohl bekanntesten deutschen Designers hier nochmals wiedergeben wollen:


Herr Colani, wo haben Sie die letzten Jahre gesteckt? Vor 25 Jahren haben Sie mit der nach Ihnen benannten Villeroy & Boch-Kollektion einiges ausgelöst. Das war der Anfang einer eigenständigen Design-Kultur in der Sanitärbranche. Seitdem haben Sie sich rar gemacht.


Ich war 15 Jahre lang in Japan. Dort bin ich innerhalb eines halben Jahres zur Nr. 1 aufgerückt und habe sämtliche großen Konzerne beraten: Das japanische Design ist Colani. Bis vor wenigen Jahren war ich Chef-Designer von Canon und Sony, ich habe dort in allen möglichen Branchen meine Duftnoten hinterlassen und ganz große Erfolge gehabt.


Colani rollt den Rest der Welt auf, und das ganz allein?


Mit 120 Mann haben wir ganz Japan bearbeitet und von dort aus bis nach Indonesien und Vietnam rein gewütet, bis nach China. Noch heute werde ich in Japan wie eine Gottheit behandelt, weil ich die vom Kopieren weggebracht und ihnen mit diesen weichen asiatischen Formen ein eigenständiges Image gegeben habe.


Warum sind Sie dann nicht in Japan geblieben?


Ich bin doch Europäer. Als ich merkte, dass in Europa die Lichter ausgehen, habe ich einen Schrecken bekommen und bin zurückgekehrt.


Was ist denn bei den Asiaten mittlerweile besser oder anders als bei uns?


Sie brauchen sich dort nur umzuschauen. Der Hunger, den wir in den 50er Jahren in Europa hatten, der ist heute in China. In den 50er Jahren war hier Aufbruchsstimmung, da gab es keine Begrenzungen nach oben. Heute zögern unsere Vorstandsetagen, die sich eher um ihre Bullen-Farm in Argentinien und um ihre Clipper auf den Bahamas kümmern, als um den Fortschritt in Deutschland.


Was muss sich denn Ihrer Meinung nach ändern?


In erster Linie die Vorstandsetagen. Nicht zuletzt wegen der Langweiligkeit der Vorstandsetagen habe ich Europa den Rücken gekehrt. Wir haben eine fantastische Arbeiterschaft, wir haben eine fantastische Infrastruktur, wir sind das am besten durchorganisierte Land der Welt. Aber wir funktionieren nicht!


Was meinen Sie mit „wir funktionieren nicht“?


Dass wir, als das neben Japan und Amerika höchst entwickelte Technologieland der Welt, aus Indien „Knöppe- Drücker“ holen müssen, das hat es beispielsweise in der deutschen Geschichte ja wohl noch nie gegeben. Oder Sie machen mir den Vorwurf, ich sei in der Sanitärbranche nicht mehr aufgetreten. Ich bin seit anderthalb Jahren aus Asien zurück! Ich suche seit Januar hier in Deutschland vergebens Partner in der Sanitärbranche, um meine Architekturprojekte auszustatten. Bisher habe ich mich ausschließlich mit den Firmen, mit denen mich eine langjährige und erfolgreiche Zusammenarbeit verbunden hat, in Verbindung gesetzt, doch die sind satt und wollen einfach nicht mehr.


Die Sanitärbranche hat sich verändert, andere Persönlichkeiten rund um Starck und Co. sind in den Focus der Öffentlichkeit getreten und beleben die Branche mit außergewöhnlichen Formen.


Starck ist ein hervorragender Architekt, aber im Design hat er aufgehört. Wir wollen aber nicht über Starck sprechen, die besten Designer der Welt sitzen immer noch in Deutschland.


Nach allgemeiner Ansicht findet man die doch vor allem in Italien?


Italien ist ausgeblutet. Italien hat vierzig oder fünfzig Jahre nach dem Krieg das Design in der Welt beherrscht. Mit Joe Colombo ist der letzte große italienische Designer gestorben, und laut Weltpresse kann nur Prof. Luigi Colani seine Nachfolge antreten. Nur in Deutschland wurde dies nicht zur Kenntnis genommen. Ich bin denen zu unbequem.


Aber Sie sagten im Vorgespräch doch, wir hätten in der Sanitärbranche ein schlechtes Design.


Nein, es ist ein Techno-Design. Und dieses Techno-Design ist menschenunfreundlich, aber im eigentlichen Sinne kein schlechtes Design. Es ist für unsere Zeit typisch, wir leben ja auch mit dieser scheiß Musik, nur eintöniges Wumm- Wumm. Und auch die Sanitär-Keramik ist Ausdruck unserer Zeit.


Aber wir müssen doch auch Produkte machen, die diesen „Wumm-Wumm-Menschen“ gefallen und dem Zeitgeist entsprechen.


Wenn diese Leute sich wechselseitig an einen „richtigen“ und dann an einen „falschen“ Waschtisch stellen, dann würden die den Unterschied schon merken. Die sind ja nicht dumm, das sind junge bewegliche Leute.


Sie sind für eine besonders weiche Formensprache bekannt.


Ich kenne die Maße des menschlichen Körpers und meine Villeroy & Boch-Produkte hatten die besten ergonomischen Maße aller Zeiten in der Sanitärbranche. Ob das nun die Klobrillen waren, auf denen man gut sitzen konnte, die abtropfenden Ellenbogen über diesen geschweiften Formen oder die Akzeptanz des Bauches durch die Negativwölbung. Beim Colani-Becken wird man nicht abgedrückt durch eine Rundung, die entgegengesetzt der Körperform arbeitet, sondern empfangen in einer väterlichen Schutzgeste, in einer schönen, netten Geste. Und das wissen die Menschen zu schätzen. Und es sind ganz einfache Mittel, mit denen sich das erreichen lässt: mit Bildhauerei und Ergonomie. Die neuen Designer, die sich vertrauensvoll auf den Computer und CAD stürzen, kommen ins Hintertreffen, weil die Computer noch nicht soweit sind.


Sie vermissen also bei der aktuellen Formgebung die Handarbeit?


Nein, es ist schlicht und einfach die Ergonomie, die mir fehlt. Nichts von dem, was heute gemacht wird, schließt ergonomisch an das an, was ich einmal einzubringen versucht habe. Das hätte fortgesetzt werden müssen. Noch mehr Dienst am Menschen, der nackt, früh am Morgen und müde sich mit diesen Dingen konfrontieren muss. Dem muss Fröhlichkeit entgegenkommen, und nicht super-gestyltes Design. Der braucht Weichheit, nicht Stahl, Holz, spitze Dinge, Kanten, Ecken usw. Wir müssen hier philosophisch arbeiten. Und Design- Philosophie in diesem Sinne ist nicht in einem der Stücke drin, die auf dem Markt sind. Nicht in einem.


Trotzdem freuen sich die Leute über ihre schönen neuen Bäder.


Ich habe kürzlich eine Dame aus der höheren Gesellschaft Deutschlands getroffen, die ein 70.000-DM-Bad bei sich hat einbauen lassen. Die letzte Scheiße und teuer.


Aus Ihrer Sicht oder aus Sicht der Dame?


Aus ihrer Sicht nicht. Die liebt das, sie hat das ja teuer bezahlt. Es ist trotzdem der letzte Dreck an menschenunwürdigem Design, das aber unheimlich kess aussieht. Anscheinend sind die Menschen heute bereit, Unbequemlichkeit in Kauf zu nehmen, wenn irgendeiner von diesen hochgepusteten Namen in dieser Welt daran steht.

Aber wenn die Frau doch glücklich ist mit ihrem Bad?


Sie könnte glücklicher sein, wenn da ein richtiges Design drin steckten würde. Warum wird die Frau in ihrem Bad nicht zu einem Lächeln animiert? Markenprodukte müssen heutzutage auf die Bedürfnisse der Menschen abgestimmt sein. 


Wie sieht denn eigentlich Ihr Badezimmer aus, Herr Colani?


Ich wohne hier oben in einer Studentenbude, wenn ich in Deutschland bin. Eine Matratze auf der Erde, zwei Kochplatten, ein Tisch und ein Stuhl. Und ich genieße das. In Süd-Frankreich habe ich ein Schloss mit vierzig Zimmern und vier Angestellten, aber da bin ich ganz selten. Als Kreativer brauche ich nicht unbedingt eine geschönte Umgebung. Das ist wie beim Schuster, der in der Regel schlechte Absätze hat.


Früher waren Sie auf Schloss Harkotten zu Hause. Heute befindet sich dort die Design-Schmiede von Dieter Sieger. Hartes Kontrastprogramm für Sie?


Der Sieger ist ein erfolgreicher Macher, aber selbst macht er kein Design mehr. Was er an Design macht, nun das will ich nicht weiter kommentieren. Er ist zwar in Colanis Haus eingezogen – aber der Geist von Colani, der da drin schwebte, ist nicht in ihn eingezogen!


Dieter Sieger hat es auf jeden Fall geschafft, über zehn Jahre eine langfristige und erfolgreiche Zusammenarbeit mit Duravit aufrecht zu erhalten.


Ja, ja, der vermarktet sich hervorragend. Das macht der gut. Das ist schon etwas, was den einen vom anderen trennt.


Mit Colani ist also eine dauerhafte Zusammenarbeit unmöglich?


Doch! Die aus der Industrie sind zu kurzsichtig. Es fehlt ja schon an der Bereitschaft, langfristig zu arbeiten. Eine langfristige Zusammenarbeit, wie ich sie mit Villeroy & Boch über viele Jahre hatte, müsste eigentlich fortgesetzt werden, hätte fortgesetzt werden müssen.


Also liegt der Knackpunkt bei den Unternehmen?


Bei den Vorstandsetagen. Die lernen zu langsam, sind zu kurzsichtig und zu verkrampft. Man traut sich heute nicht mehr, Sprünge nach vorne zu machen wie in den 50er, 60er und 70er Jahren. Es herrscht ein zu großer Druck, natürlich. Die Entscheider werden ja heute nach Quartalsabrechnungen bewertet und nicht nach langfristigen Entwicklungen. Wie im Fußball. Hier wird überall zu kurzsichtig und zu kurzfristig gehandelt.


Wie kann sich das Ihrer Meinung nach ändern?


Es müssten viel mehr Frauen in die Vorstände rein, die sind es eher gewohnt, langfristige Entscheidungen zu treffen. Die haben im Kopf einen Drei- oder Vierjahres-Zyklus eingebaut, noch aus der Zeit der Dinosaurier. Männer sind für Sprint-Strecken hervorragende Leute, weil die muskulöser sind und Kurzsituationen etwas kraftvoller beherrschen können; für langfristige Entscheidungen dürfte in einer Vorstandsetage eigentlich kein Mann sitzen. Die sind unfähig dazu.


Wie kam die Zusammenarbeit mit Villeroy & Boch eigentlich zustande?


Wir sind auf irgendeiner Sanitär-Messe zusammengetroffen. Meine Bedingung war seinerzeit – und die wurde akzeptiert –, dass wir den Kreis interner Fachleute außen vor ließen. Das war sicher nicht einfach. Ich bin ja wirklich kein einfacher Mitarbeiter. Denn bei mir heißt es: Ihr zahlt und quatscht mir nicht rein in mein Design. Und ich verbürge mich dafür, dass es ein Erfolg wird, ich setze mich für euch ein. Und das habe ich bei Villeroy & Boch getan.


Haben Sie sich bei Villeroy & Boch denn überhaupt öfter sehen lassen?


Ich bin zusammen mit der Modellbauabteilung bis zu den Knien in Gips gewatet, ich habe die Dinger selber gemacht mit denen, ich bin nicht einer, der eine große Schnauze hat und dann weggeht und nur noch kassiert. Ich habe die Dinger selber gebaut.


Warum hat Villeroy & Boch eigentlich Ihre Serie letztes Jahr aus dem Programm gestrichen?


Da fragen Sie mich doch nicht, das müssen Sie Villeroy & Boch fragen. Der Rosenthal hat vor kurzem bei mir angefragt, ob sie die Tee-Service, die ich für sie gemacht habe, wieder auflegen dürfen. Die haben gemerkt, dass nichts passiert auf dem Markt und dass meine Kreationen immer noch besser sind als die heutigen Produkte. Bei Villeroy & Boch hat man diesen Gedankensprung anscheinend noch nicht vollzogen. Und dabei habe ich denen mitgeteilt, dass ich Sanitärprodukte für meine Therme brauche, aber die schalten nicht. Ich bin sauer auf die.


Wollen Sie trotz der vielfältigen Widerstände wirklich in Europa bleiben?


Ja natürlich, ich verstärke meine Präsenz und werde jetzt massiv. Ich bin auch bereit, gegen Vorstandsetagen anzutreten. Ich möchte immer noch mit europäischen Firmen zusammenarbeiten. Aber ich stehe auch unter Druck, ich muss innerhalb der nächsten sechs Monate großartige Serien auf die Beine stellen, um meine Architekturprojekte mit meinem Zeug zu bestücken.


Und wie geht es konkret weiter?


Ich bin offen nach allen Seiten, ich lege nur größten Wert darauf, dass wir bald anfangen. Und darum begrüße ich ja auch, dass Sie heute da sind. Damit da mal endlich Bewegung reinkommt.


Bleibt uns nur noch, uns für das interessante Gespräch zu bedanken.


Ich bedanke mich für euren Besuch. Macht was draus. Dann helf‘ ich eurer Branche auf die Beine. Einpacken, Abmarsch.

 

Interview: Frank A. Reinhardt und Dirk Schlattmann